Sydney
Vor ein paar Wochen fanden wir in unserem E-Mail Eingang eine Nachricht mit folgendem Inhalt:
„Hi, ich verfolge seit ein paar Jahren eure Reisen auf eurer Webseite. Afrika ist unser nächstes Ziel, in ein paar Monaten werden wir unseren Land Rover nach Südafrika verschiffen. Vielleicht habt ihr Lust auf einen Gedanken- und Informationsaustausch. Ihr seid eingeladen, mal vorbeizukommen, wenn ihr in Sydney seid. Viele Grüße, Frank.“
Natürlich haben wir Lust, Gedankenaustausch ist gut, Informationsaustausch noch besser.
Und an Infos zu Australien, insbesondere von jemandem, der selbst mit einem 4×4 Fahrzeug reist, sind wir immer interessiert.
Truckstop
Über den Highway geht es nach Sydney. Nur, so wie wir aus dem Busch kommen, können wir unmöglich jemanden besuchen. Eine intensive Körperreinigung ist nach den Tagen im Dschungel unumgänglich.
Australien ist das Land der Roadtrains, der großen Distanzen, die mit gigantischen Lastzügen zurückgelegt werden. Die Trucker haben das gleiche Problem, müssen ja auch gelegentlich Staub, Dieselöl und Ruß abwaschen.
Auf dem nächsten Rasthof frage ich einen Fahrer, wie sie das Problem handhaben. „Es ist ganz einfach, an jeder großen Tankstelle, an jedem Truckstop gibt es kostenlose Duschen, du gibst deinen Autoschlüssel als Pfand und bekommst den Schlüssel für eine Duschkabine.“
„Kostenlos?“, frage ich ungläubig.
„Hey, Mann, wenn ich tanke pumpe ich 1.600 Liter Diesel ab, da ist doch wohl eine Gratisdusche drin.“
„Tausendsechshundert Liter kriege ich in den Toyo nicht rein, zudem ist der Tank fast voll und wir sind Touristen.“
„Ich weiß nicht, wie das für Touristen ist, Trucker können jedenfalls überall kostenlos duschen.“
Beim nächsten Truckstop kurz vor der Abfahrt in die Stadt probieren wir es aus. Die Duschen sind im Gebäude des Autobahnrestaurants und die Dame, die Pappbecher im Akkord mit heißem Kaffee befüllt und an eine Busladung Touristen ausgibt, bestätigt, was der Trucker gesagt hat: „Die Duschen sind für jedermann kostenlos. Ihr müsst auch nicht tanken oder Kaffee trinken, das ist einfach Service. Wollt ihr ein oder zwei Schlüssel?“
„Einer reicht.“
Im Keller des Restaurants gehen vom breiten Gang 10 Türen ab, die mit großen Zahlen durchnummeriert sind. Wir haben die Nr. 3. Der Schlüssel passt und es öffnet sich ein kleines Badezimmer. Waschbecken mit Fön und Seifenspender, Garderobe, Stuhl, Tisch und Dusche. Beleuchtet mit unschönem Neonlicht, aber Radiomusik. Alles absolut sauber, aber davon kann man in Australien ausgehen.
Oceanview
Jetzt aber zurück auf den Highway und zu Frank.
Frank und seine Frau Sharon leben in einem Vorort von Sydney, in einer Gegend, in der der Anteil der Armen, die sich kein neues Auto leisten können, sondern ihren 30 Jahre alten Jaguar oder noch älteren Rolls Royces fahren müssen, relativ hoch ist.
Wir parken die Mini-Pistenkuh direkt vor dem Haus. Sharon geleitet uns ins Wohnzimmer. Es ist eigentlich kein Zimmer, sondern ein offener Wohnbereich. Das geniale ist die Glasfront zum Ozean hin. Der Blick schweift über den kleinen Vorort, über den Sandstrand und über schäumende Wellen bis zum Horizont. Etwas Vogelfutter auf den Fenstersims gelegt und schon holen bunte Papageien die Körner. Frank klatscht in die Hände und ein weißer Kakadu stürzt herbei um sich ein Stück Obst abzuholen.
Die Unterhaltung mit Frank macht Spaß. Endlich jemand (der Erste), der nicht überängstlich ist und schon einiges selbst gefahren ist. Bisher waren die Informationen der Australier wenig brauchbar.
„Ihr könnt die Simpson Desert nicht alleine durchqueren, ihr braucht unbedingt ein zweites Auto, schließt euch einem Convoy an.“ Wir werden die Simpson Desert alleine durchqueren.
„Ihr braucht unbedingt ein Satellitentelefon.“ Brauchen wir nicht.
„Meldet euch bei der Polizei und hinterlasst dort euren Routenplan.“ Wir haben keinen Zeitplan und wenn doch, teilen wir das keinem mit.
„Passt auf die Schlangen auf.“
Solche Ratschläge kann man in die Tonne kloppen. Ihr Informationsgehalt ist gleich null. Frank hingegen ist ein guter Informant, weil er viele Gebiete selbst abseits der Pisten gefahren ist. Von ihm bekommen wir die Infos, die wir brauchen: Wie hoch ist der Durchschnittsverbrauch seines Land Rovers in den Wüstenabschnitten abseits der Pisten? Gibt es Wasserlöcher, die nicht in den Detailkarten verzeichnet sind? Und wenn ja, ist dort ständig Wasser oder nur temporär? Neben den Fakten sind vor allem seine Bilder sehr informativ. Wir können uns ein Bild von dem Gelände machen und ob wir die Durchquerung uns und unserem Toyo zutrauen. Ähnliche Fragen haben Frank und Sharon zu Afrika. Die Zeit vergeht, wir übernachten im Gästezimmer und fahren am nächsten Tag nach Sydney.
Sydney
Nein, Sydney ist nicht die Hauptstadt, aber es ist die Stadt, die jeder kennt. Und was kennt man in Sydney? Eigentlich nur das Opernhaus.
Dabei hat Sydney so viel zu bieten, dass man sich einen Satz Schuhsohlen ablaufen könnte. Man könnte sich den Fischmarkt ansehen, in Chinatown asiatische Spezialitäten probieren, die dort auf engstem Raum angeboten werden. Man könnte durch den Botanischen Garten spazieren, sich im Paddy’s Market über drei Etagen durch billigen Kleinkram, Klamotten und Souvenirs drängen.
Man könnte auch was für die Bildung tun, sich das Nationalmuseum ansehen oder das Aboriginal Kunstmuseum oder das Powerhouse Museum. Natürlich auch durch die Kirchen laufen, das Theater und den Zoo besuchen und die Bücher der Stadtbibliothek lesen.
Interessant wäre vielleicht auch das Rotlichtviertel Kings Cross, zum einen wegen der Mischung aus Bahnhofsviertel und Reeperbahn, aber vor allem weil es hier eine Tiefgarage gibt, in der Traveller ihre gebrauchten Schlitten und andere Reiseausrüstung verscherbeln.
Wäre unsere Tochter dabei, wäre natürlich das Nationalmuseum Pflicht, um zu überdecken, wie bildungsfern die Eltern sind. Aber so können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: Opernhaus, Harbourbridge, Skyline und Fish and Chips.
Wir haben uns bei Frank ziemlich lange aufgehalten und sind erst nachmittags aufgebrochen. So geht es erst mal darum, in Sydney einen kostenlosen Platz für die Nacht zu finden. Wir fahren zum Zoo, da gibt es bestimmt nachts jede Menge freie Parkplätze. Nur wenige hundert Meter entfernt bietet sich eine bessere Möglichkeit. In einem Ausflugslokal bei Bradleys Head wird Hochzeit gefeiert. Der öffentliche Parkplatz steht voller Autos und mit Sicherheit werden hier in den frühen Morgenstunden, wenn die Feier sich dem Ende neigt, einige mit dem Taxi nach hause fahren (müssen). Unsere Mini-Pistenkuh wird gar nicht auffallen. Von Bradleys Head ist der Blick auf Sydney beeindruckend. Opernhaus, Skyline und Harbourbridge auf einem Bild. Die Sonne verschwindet unspektakulär im Dunst hinter den Hochhäusern. Das Grau am Firmament wechselt zu Schwarz und immer mehr Lichter erleuchten die Metropole.
Seltsame Hochzeitsfeier, oder wird in Australien immer so gefeiert? Die Hochzeit ist pompös aufgezogen, drei schwarze Maserati Limousinen, Fotografen und Filmcrew, doch ab 22:00 Uhr leert sich der Parkplatz. Um 23:00 ist unser lila Toyo der einzige Wagen auf dem Platz, unsere Tarnung ist abgereist. Aber Tarnung wäre gar nicht erforderlich. Es stört keinen, es kommt keiner, der Parkplatz ist auch von der Straße nicht einsehbar, man (Polizist) müsste schon gezielt fahnden, ob dort jemand die Nacht verbringt. So verbringen wir dort auch die folgenden beiden Nächte.
Harbourbridge
Am nächsten Morgen parken wir den Toyo unter der Harbourbridge. Der Parkplatz ist mit 60 Cent pro Stunde billig und man darf dort maximal sieben Stunden parken. Von hier kann man zu Fuß über die gigantische Stahlbrücke gehen. 30.000 Tonnen wiegt allein der Stahlbogen, nur zur Vorstellung, das sind etwa 30 komplette Güterzüge. 1923 wurde beschlossen, die Brücke zu bauen.
Neun Jahre war das Schlagen der mehr als sechs Millionen Nieten zu hören. Die Brücke sollte aber nicht nur den Hafen überspannen und eine wichtige Verkehrsanbindung sein, sie sollte die längste Einbogenspannbrücke der damaligen Zeit werden. 503 Meter lang. Was für ein Pech, was für eine Trauer, nur wenige Monate vor Fertigstellung wurde in New York die Bayonnebridge eröffnet, und die ist 60 Zentimeter länger.
Natürlich haben wir die Brücke bei der Reiseplanung auf vielen Bildern aus allen möglichen Perspektiven gesehen, aber in Realität ist sie beeindruckender als wir sie uns vorstellten. Das will was heißen, oft ist die Realität kleiner und „normaler“ als sie Fotografen dargestellt wird.
Opera
Wir laufen über die Brücke und haben eine tolle Aussicht auf unser nächstes Ziel, das weltberühmte Opernhaus, nur die „Opera“ genannt.
45 Min. strammer Marsch und dann stehen wir vor dem Bauwerk mit der weltberühmten Dachkonstruktion.
Ich könnte mir vorstellen, dass es das Bauwerk ist, das Architekten und Bauherren die meisten schlaflosen Nächte bereitet hat. Sechs Jahre sollte der Bau dauern. Fünf Jahre dauerte es allein, die Dachkonstruktion zu planen und zu berechnen. Bei Baubeginn war keinem der Verantwortlichen klar, ob man das Dach überhaupt so bauen kann, wie es sich der Architekt vorstellt. Irgendwann gingen wohl die Nerven durch und man hat den 37jährigen dänischen Architekten gefeuert. Sein berühmtes Bauwerk hat Utzon nie gesehen. Als man ihn rausschmiss, verließ er Australien und kehrte nie mehr zurück.
Statt sechs Jahre baute man 15 Jahre und die Hiobsbotschaften der Kostensteigerung werden den Stadtkämmerer wohl oft nachts senkrecht im Bett stehen lassen haben. Die Baukosten lagen 14 Mal so hoch, wie veranschlagt. Seine Einwände wegen der Kosten wurden als Knickrigkeit bezeichnet.
Wir könnten jetzt auf die Plattform des AMP Centralpoint Tower fahren und in 173 Metern Höhe eine Rundumaussicht über die Hochhäuser der Stadt werfen. Ja, könnte man machen, wir laufen zurück zu Millers Point, wo der kleine Toyota auf uns wartet. Unterwegs ein verlockendes Angebotsschild: “Only today, Fish and Chips 5 $, take away.”
Okay, das nehmen wir mit. Kurz später sitzen wir mit zwei Riesenfischfilets und einem gigantischen Berg Pommes auf einer Parkbank vor unserem Auto. Im Blick die Skyline, Opera und Harbourbridge. Sydney ist eine der schönsten Städte, die wir bisher gesehen haben, vielleicht die schönste Stadt der Welt. Ob die Sydneyer das wissen? Ahnen tun sie es bestimmt.
Alles videoüberwacht
Aber die Stadt hat auch Schattenseiten. Und diese Schattenseiten werden mit Videokameras bewacht. Wir empfinden die Videokameras als eine Schattenseite. Ständig haben wir das Gefühl, beobachtet zu werden. Und es ist tatsächlich so: Während wir unseren Fisch verdrücken, klettert ein junger Mann vielleicht Mitte zwanzig auf das Dach des Fähranlegers und macht einen Kopfsprung ins Hafenbecken. Vier Minuten später erreichen drei Polizeiwagen, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, fast zeitgleich den Tatort und nehmen den Mann mit. Weg ist er.
Auf Parkplätzen ist die Parkzeit oft begrenzt, z. B. auf zwei Stunden.
„Brauche ich eine Parkscheibe oder lege ich einen Zettel mit der Uhrzeit hinter die Scheibe?“
„Nein, stell dein Auto einfach ab, der Platz wird videoüberwacht und nach zwei Stunden wirst du abgeschleppt.“
Ihr werdet es mir nicht glauben, aber ich habe in Australien noch nie falsch geparkt. Die Strafen sind drastisch. Parkzeitüberschreitung in Brisbane: 160 $. Kein Parkticket gelöst: 200 $. Auf die Harbourbridge geklettert: 3000 $. Hundekot im Park nicht aufgesammelt: 500 $. Die Strafen werden bei jedem Verbots- oder Gebotsschild gleich mit angeschlagen. Macht Eindruck, aber ich trete lieber mal in Hundescheiße, als in einem Park zu liegen, wo jeder Hund beim kacken von der Polizei beobachtet wird.