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Uluru im Abendlicht
Australien

Heilige Dollars – Zeige Respekt

Fragen über Fragen

So, zurück aus dem Bottle Store. Leider ohne Bier. Umsonst gewartet. Die Biermarke, für die der Discount aus der Aktion „Drink and Drive“ gewährt wurde, ist ausverkauft. Die Kombination Saufen und Fahren scheint in Alice Springs recht beliebt zu sein. Pech. Dafür hatte ich im Liquor Laden das erste Gespräch mit einem Aborigine. Jetzt kann man sich fragen, was ist daran besonders. Hier im Northern Territory ist der Anteil der Ureinwohner an der Bevölkerung recht hoch. Man müsste doch mal einen Polizisten, einen Kassierer im Supermarkt, Tankstellenbetreiber, Bankangestellten etc. sehen, der sich weiße Streifen ins Gesicht gemalt hat und mit einem Didgeridoo unter dem Arm herumrennt. Nichts. Die Realität sieht anders aus: Statt wie auf dem Cover unseres Reiseführers im roten Sand zu sitzen und in einen von Termiten ausgehöhlten Baumstamm zu blasen und diesem Knüppel auf wundersame Weise irgendein Gebrumme zu entlocken, sitzt er in einer Ecke auf dem Gehsteig in Alice und ist nicht mehr in der Lage so in die leere Schnapsflasche zu blasen, dass ein Ton entsteht. Warum wird man in Alice zum Alkoholiker. Ich werde mal Einen fragen.

Auf der Fahrt entlang des Old Ghan Bahndamms sind wir durch Aboriginal Siedlungen gefahren, wie zum Beispiel Finke. Überall das gleiche Bild. Der einzige Laden wird von einem Weißen betrieben. Die Tankstelle gehört einem Weißen. Der Automechaniker, weiß. Der kleine Ein-Mann-Betrieb, der Dachdecker-, Klempner-, Maurer- und Elektroarbeiten ausführt, ist ein weißer Ein-Mann-Betrieb.
Warum sitzen in den Ortschaften dreihundert bis vierhundert Aborigines rum und zehn Weiße machen die Arbeit? Ich werde mal Einen fragen.
Woher haben die Aborigines das Geld, um zehn Weiße zu beschäftigen und sich im Supermarkt (von Weißen) belegte Sandwichs zu kaufen, statt sich die Schnitten selbst zu schmieren. Warum gehört der Supermarkt nicht dem Aborigine.

Red Bank Gorge

Nachdem wir in Alice Springs das normale Touri Programm absolviert haben, Flying Doctors,  School of the Air, Lookout Anzac Hill, fahren wir entlang der MacDonnell Ranges nach Westen.  Ziel ist der Ayers Rock, Uluru, in der Sprach der Anangu. Zum Ayers Rock könnte man auch den Stuart Highway etwa 200 Kilometer nach Süden fahren und dann auf erstklassiger Teerstraße 250 Kilometer nach Westen bügeln. Lass es. Total langweilig. Die MacDonnell Ranges hingegen sind ein Highlight. Zahlreiche Schluchten, tolle Bademöglichkeiten in glasklaren Bächen und Seen, Glen Helen Gorge, Ormiston Gorge, Serpentine Gorge zum Beispiel. Oder die Red Bank Gorge, unser Geheimtipp: Nach einer halben Stunde Fußweg durchs Flussbett steht man vor einem Pool am Ausgang der engen Schlucht. Man kann sich im feinen Sand sonnen oder im natürlichen Pool baden und da die meisten Touristen gehfaul sind und den 20 Min. Fußweg scheuen, hat man hier gute Chancen, allein zu sein. Abenteurer können die Schlucht erkunden, jedoch muss man dazu mehr schwimmen als klettern. Gerade mal zwei bis fünf Meter stehen die senkrechten Felswände auseinander, man  schwimmt hindurch und nach jeder Biegung ergibt sich ein neues Szenario.

Schwimmen in der Red Bank Gorge

Schwimmen in der Red Bank Gorge

Weiter zum Kings Canyon. Am Straßenrand sehen wir Schilder, die wir sonst noch nirgends auf der Welt gesehen haben: Ab hier kein Alkohol und keine Pornographie. Warum ist Pornographie verboten? Ich werde mal Einen fragen.

Meine Fragen-Liste wird immer länger, doch niemand ist da, der sie beantworten könnte. Der Teerbelag endet, eine halbwegs brauchbare Schotterpiste führt durch Aboriginal Land. Man braucht eine Genehmigung (Permit) für die Straßennutzung und der Zutritt auf Aboriginal Gebiet ist verboten bzw. wird evtl. gegen ein Wochen zuvor beantragtes Permit gestattet. In der Regel bleibt Aboriginal Land für Touristen unzugänglich. Das Straßen-Permit kann unkompliziert für kleines Geld (5 Dollar) gekauft werden. Aber auch hier kommt man nicht mit Aborigines in Kontakt. Ein Weißer kassiert für das Durchfahren von Aboriginal Land. Warum ist das so?

 

Nachdenklich durch den Kings Canyon

Nachmittags bei bestem Fotolicht wandern wir am oberen Rand des Kings Canyon entlang.

Blick in den Kings Canyon

Blick in den Kings Canyon

Hat man den steilen Pfad zur Hochfläche hinter sich, ergeben sich atemberaubende Blicke auf den wirklich eindrucksvollen Canyon. 100 Meter fallen die steilen Felsklippen senkrecht ab und in der bizarren Landschaft mit verwitterten Sandsteinkugeln ergeben sich unzählige Fotomotive und immer wieder spektakuläre Aussichtspunkte.

Kings Canyon

Kings Canyon

Während der Wanderung denke ich über das Konzept und Layout unseres Australienbuches nach. Das Kapitel Aborigines wird das schwierigste. Ich bekomme Antworten auf meine Fragen aber mit jeder Antwort ändert sich nur die Sicht. Die Szenerie ändert sich, aber es gibt keinen Überblick. Es ist wie beim Erkunden der Redbank Gorge. Man schwimmt zwischen zwei riesigen Felsen und jede Antwort ist wie eine Windung des Flusses. Es eröffnet sich ein neuer Blick und neue Fragen.
Viele Antworten kann ich nicht einordnen, mir fehlt Wissen, mir fehlt der geschichtliche Hintergrund. Welche gesellschaftlichen Diskussionen haben zu jener Zeit stattgefunden, die zu der einen oder anderen Antwort geführt haben und warum gerade zu dieser. Ich werde das Kapitel so aufbauen, dass es dem Leser überlassen bleibt, seine Antwort zu finden. Ich werde Begebenheiten beschreiben, Interviewtexte aus meinem Aufzeichnungsbuch abtippen und aus Lexika Hintergrundwissen raussuchen. Es wird wahrscheinlich so viele Antworten geben wie Leser. Ich beschreibe die Schlucht aber ich zeichne keine Karte.

Das Gespräch mit dem Aborigine im Bottle Store in Alice:
„Willst du auch Flaschen kaufen?“
„Nein, Bierdosen, dann kriege ich den Sprit billiger.“
„Ich kaufe immer nur Flaschen.“
Er riecht – nicht nach Deo – und jedes Mal umhüllt mich eine Alkoholfahne, wenn er mich anspricht.
„Ich heiße Burkhard. Wie ist dein Name?“
„Smithy.“
„Ich komme aus Deutschland. Wo kommst du her?“
„Mein Ort ist 40 km nordöstlich von hier. Aber Deutschland kenne ich nicht. Wo ist das?“
„In Europa, in der Mitte.“
„Europa? Wo ist das? Ist das im Süden von Alice?“
„Nein, in Richtung Nordwest?“
„Ja, dann kann ich Deutschland auch nicht kennen, ich war noch nie nordwestlich von Alice.“
„Kaufst du jeden Tag Flaschen?“
„Ja.“
„Wo hast du das Geld her?“
„Government.“

Sozialarbeit mit Erfolg?

Auf der Straße gibt es Streit. Aborigines brüllen rum, schreien, schlagen, prügeln sich. Frauen und Männer. Ein Stück weiter sehen wir Smithy. Auch er hat Streit. Seine Frau trinkt aus der Schnapsflasche, Smithy will die Flasche haben. Aber die Frau hat noch nicht genug, dreht sich um und trinkt weiter. Smithy wird wütend, zehrt an ihren Haaren. Sie gibt die Flasche ab. Ihre vier Kinder, schmutzig, zerrissene Klamotten, streiten sich wie ihre Eltern. Es geht um eine große Tüte von Mac Donalds, gefüllt mit Pommes, Cola und Burger. Das große Mädchen, vielleicht acht oder neun Jahre, ist das einzige, das teilt und ihrem kleinsten Bruder zwei, max. zweieinhalb Jahre, Pommes in den Mund steckt und ihn an ihrem Strohhalm Cola aus dem Becher ziehen lässt. Andere Kinder liegen auf dem Gehsteig und pennen.
Im Gespräch mit einem Touristenpärchen aus Leipzig, die ebenso geschockt sind wie wir, erfahren wir: „Die Kinder schlafen ihren Rausch aus. Wir haben gesehen, wie ihre Eltern ihnen Wein gaben, damit sie ruhig sind und nicht quengeln, selbst den Kleinsten.“
Warum unternimmt keiner was? Polizisten stehen doch genügend rum.
Ich geh zum Polizisten: „Hey, da prügeln sich welche auf der Straße, Kinder verwahrlosen, muss man da nicht was unternehmen?“, frage ich etwas provokativ. „Ist jemand verletzt?“, ist die Gegenfrage. „Ich glaube nicht.“ „Dann mach dir keine Sorgen.“

„Muss man die Kinder nicht wenigstens von der Straße holen? Man kann doch nicht zusehen.“ „Was sollen wir machen?“ „Keine Ahnung, eine Sozialstation einrichten, irgendetwas, damit sie in einem Umfeld aufwachsen, das ihnen Chancen bietet und sie nicht auf dem Pflaster liegen.“ „Sozialstationen gibt es, aber wir können die Kinder nicht einfach ihren Eltern wegnehmen. Sie kennen die gestohlene Generation?“ „Nicht wirklich.“ „Vor einhundert Jahren haben wir begonnen, Aboriginal-Kinder ihren Eltern wegzunehmen und in Heime zu stecken, sie sollten von Missionaren britisch erzogen werden. Es war rassistisch und wegen dieser Vergangenheit gehen wir heute sehr behutsam mit Familientrennung um. Wir können da nicht so unbefangen ran gehen wie ihr. Wir versuchen mit Sozialarbeitern in den Dörfern und Familien was zu ändern, oft mit Erfolg.“

Erobert oder besetzt?

Mit weißen Australiern ins Gespräch zu kommen, ist einfach, das Thema Aborigines ist aber ein rotes Tuch und die Raumtemperatur sinkt um gefühlte 6-7 Grad, sobald man das Thema anspricht. Will man die gute Stimmung beim Bier nicht stören, spricht man besser von allen möglichen anderen Dingen.
Die Meinungen reichen von:
„Wir haben Australien nicht erobert, wir haben es besetzt. James Cook und die folgenden Siedler gingen davon aus, dass das Land niemandem gehört. Sie haben es erschlossen, kultiviert und das aufgebaut, was es heute ist. Eine der reichsten Nationen der Welt. Die Ureinwohner kannten in ihrer Sprache auch gar kein Wort für Eigentum, sie kannten keine Landrechte, sie waren Nomaden, ohne Schrift, ohne Verträge, ohne Besitzdenken. Sie waren in über 500 Stämmen organisiert, mit unterschiedlicher Sprache, teils verfeindet, teils befreundet.
Wir haben Schafs- und Rinderfarmen angelegt und damit die Grundlage ihres traditionellen Lebens zerstört. Und wenn der Aborigine ein Schaf gestohlen hat, bedenken Sie, der Aborigine kannte keinen Besitz, es war für ihn außerhalb seiner Vorstellungskraft, dass ein Tier jemandem gehört, wurde er erschossen oder gehängt. Oft ohne Gerichtsverhandlung, im Gegenteil, man sagte den Farmern, die Aborigines seien intellektuell nicht in der Lage einer Gerichtsverhandlung zu folgen, sie sollen den Dieb direkt gerecht bestrafen. Sie können sich denken, wie die gerechte Strafe ausfiel. Man hat sie abgeschossen wie Tiere.
Dann wollte man sie sesshaft machen, sie unterordnen. Man hat ihnen die Kinder weggenommen, man hat sie missioniert, man hat sie ohne Entlohnung auf Farmen und in Betrieben arbeiten lassen. Man hat sie zwangsumgesiedelt und, und, und.
1967 bekamen sie endlich Bürgerrechte und das ganze Unrecht wurde von uns 2008 endlich anerkannt, wir haben uns entschuldigt und seit 1985 begonnen, den Aborigines, den traditionellen Eigentümern, ihr Land zurückzugeben. Und natürlich haben wir sie für das Unrecht zu entschädigen, bzw. müssen wir sie an unserem Reichtum, den wir mit ihrem Land erwirtschaften, teilhaben lassen.
Und natürlich gehört zu unserer Verantwortung und zu unserer Pflicht, ihnen in unserer Gesellschaft ein normales Leben zu ermöglichen, das alles beinhaltet, was wir auch für uns in Anspruch nehmen, wie Altersrente, freie medizinische Versorgung, Schulbildung, Wohnung, Lebensmittel usw., eben unsere Sozialleistungen. Wir haben ihnen ihre Lebensgrundlage zerstört, jetzt müssen wir ihnen unsere Lebensgrundlage geben.
Das dies schwierig wird und von einigen als ungerecht empfunden wird und sich sicherlich nicht alles so entwickelt, wie wir es uns wünschen, ist klar, aber der eingeschlagene Weg ist der richtige. Wir müssen die historische Schuld begleichen.“

Abhängig von Sozialhilfe

Viel öfter hört man folgende Meinung:
„Mich interessiert nicht, was vor 50, 100 oder 200 Jahren war. Mit dem heutigen Wissen und unserer heutigen Weltanschauung ist es leicht, zu sagen, es war falsch, was unsere Vorfahren getan haben. Ich habe mich bei Keinem zu entschuldigen und ich habe Keinen zu entschädigen, weil mein Ur- Ur- Urgroßvater vielleicht etwas Falsches getan hat.
Ich weiß nur, dass das was wir jetzt tun, den Aborigines vorne und hinten Geld reinstecken, falsch ist. Guckt es euch an. Wir bauen ihnen Häuser, gute Häuser, keine Baracken und das erste was sie machen, sie reißen die Türen raus und machen daraus Lagerfeuer. Sie verbrennen die Möbel, sie reißen die Fußbodendielen raus, sie zünden einfach alles an, was brennt. Und wir gehen her und bauen ihnen neue Häuser. Wir bauen Schulen, aber sie schicken ihre Kinder nicht. Es gibt Klassen, da kommt kein einziges Kind. Wir geben ihnen Autos, die einfach stehengelassen werden oder sogar angezündet werden, wenn sie nicht mehr fahren. Oft sind nur Kleinigkeiten defekt und sie zünden ein Auto an, was noch keine drei Jahre alt ist. Und wir geben ihnen neue Autos. Unglaublich, oder?
Ich kann die Aborigines ja verstehen. Oder würden Sie arbeiten gehen, wenn Sie jede Woche einen Scheck auf dem Amt abholen könnten? Das Amt zahlt Ihren Strom und renoviert Ihr Haus, wenn Sie im Suff die Fenster eingeschlagen haben. Wenn Sie in Australien schwarz sind, haben Sie ein Leben wie die Made im Speck. Und die Kinder lernen es von ihren Eltern: Geh zum Amt und hol dir dein Geld für die nächste Woche.
Wir haben ihnen ihr Land zurückgegeben, damit sie ihrem traditionellen Leben nachgehen können. Aber was machen sie? Sie hängen rum und wir müssen jetzt Permits kaufen oder in einem langwierigen bürokratischen Prozess beantragen, wenn wir ihr Gebiet durchqueren wollen.
Die ganzen Sozialleistungen, das ganze Geld verbessert nichts. Im Gegenteil. Je mehr wir ihnen geben, umso mehr gewöhnen sie sich daran. So lernen sie nie, eigene Verantwortung zu übernehmen. Früher haben sie auf den Farmen gearbeitet. Seit dem wir ihnen Häuser bauen und sie mit Geld füttern, lungern sie rum und saufen.“

Später spreche ich mit einem Farmer:
„Ja, früher haben viele bei uns gearbeitet. Die Aborigines können gut mit Vieh umgehen, da kann man sich drauf verlassen. Da ist nicht ein Tier verloren gegangen.“
„Warum hat sich das geändert?“
„Bis 1967 hatten sie keine Bürgerrechte. Sie durften keinen Alkohol kaufen, sie bekamen keine Sozialleistungen, sie mussten auf den Farmen arbeiten und wurden vom Farmer versorgt. Also Essen, Unterkunft und ein kleines Taschengeld. Als sie dann die vollen Rechte bekamen, änderte sich das. Plötzlich war von Zwangsarbeit die Rede. Wir Farmer mussten den Mindestlohn zahlen, was dazu führte, dass sie nach dem Zahltag nicht mehr zur Arbeit kamen und erst wieder erschienen, als ihr Geld zu Ende war. Viele fingen an zu saufen. Was sollten wir machen? Der Lohn muss sich nach der Produktivität richten. Wir konnten sie nicht mehr beschäftigen. Natürlich sind nicht alle so. Die Guten arbeiten immer noch bei uns und sie sind ihr Geld wert. Die Anderen gingen in ihre Dörfer und leben dort von Sozialhilfe. Die Dörfer, die sich aufgrund des Alkoholproblems zur trockenen Zone erklärt haben, ihr erkennt sie an den Schildern, zum Glück sind das einige, haben die Säufer rausgeworfen. Die Gesetze der Ältesten sind hart, wer Mist baut kriegt eine Tracht Prügel und wird vom Stamm verstoßen. Die hängen jetzt in den Städten rum, saufen und prügeln sich.“

Ayers Rock – Uluru und Aborigines

Eine knappe Tagesreise ist es vom Kings Canyon zum Ayers Rock. Ayers Rock darf man nicht mehr sagen, das Gebiet wurde 1985 an die „Traditional Owner“, an das Volk der Anangu zurückgegeben und muss jetzt Uluru genannt werden.
Im Cultural Center werden wir bestimmt Gelegenheit haben, mit einem Aborigine zu sprechen, seine Meinung zu hören, seine Sicht auf die Dinge zu erfahren.
Weit gefehlt. Weiße Ranger erklären den Touristen die Kultur der Aborigines.
Wer von einem Aborigine geführt werden will, kann dies bei einem weißen Veranstalter buchen. Als Antwort auf meine Verwunderung, dass ich im Cultural Center der Anangu keinen aus ihrem Stamm treffe und auch sonst in dem zum Nationalpark erklärten Gebiet scheinbar nur Weiße und Asiaten arbeiten, bekomme ich die patzige Antwort: “Wir sind kein Zoo, wo man Aborigines ausstellt. Wenn Sie das erwarten, sind Sie hier falsch.“
Draußen in einem Souvenirshop bzw. Bildergalerie malen zwei Aboriginal-Frauen. Ein Gespräch ist nicht möglich, jedes Mal antwortet die weiße Ladenbesitzerin an ihrer statt.
Auf Plakaten wird für eine Aboriginal Tanzvorführung am Abend in einem der Hotels geworben. Aber eine Touristenveranstaltung ist das letzte, was wir uns ansehen werden. Das ist wirklich Zoo.

No Liquor

No Liquor

Der Konsul der Anangu

Die Siedlung der Anangu ist nur etwa vier Kilometer entfernt. Ungefähr 300 Menschen leben dort, aber „Nicht-Aborigines“ ist der Zutritt verboten. Es muss doch möglich sein, einen Kontakt zu bekommen, vielleicht hat die Polizei eine Idee. Wir fragen einfach mal nach. Die erste Reaktion ist, dass man uns zum Cultural Center verweißt. Doch uns interessiert nicht die Lebensform von vor 10.000 Jahren, uns interessiert die Zukunft.
Der Polizist telefoniert, kurzes Gespräch, und schreibt uns eine Telefon-Nummer auf einen Zettel. „Das ist die Nummer vom Konsul der Anangu. Er kann euch ein Permit geben, um in sein Dorf zu kommen.“
Der Konsul spricht schlechtes Englisch, die Verständigung am Telefon ist schwierig. Er will nicht, dass wir ins Dorf kommen, aber er trifft sich mit uns im Cultural Center für ein Interview. Heute Nachmittag um fünf. Wir sind eine halbe Stunde vorher am Treffpunkt und warten. Fünf Uhr, viertel nach, halb sechs, sechs. Irgendwas läuft schief. Ich rufe ihn an: „Oh, Entschuldigung, ich bin beschäftigt. Können wir uns morgen um fünf Uhr an der gleichen Stelle treffen?“ „Okay, morgen um fünf.“
Am nächsten Tag exakt das Gleiche. Wir sind pünktlich, warten eine Stunde und rufen den Konsul an. „Oh, Entschuldigung. Ich bin beschäftigt, wir haben im Moment viele Gespräche zu führen. Ich habe die Verantwortung für 300 Bewohner. Können wir uns morgen um fünf treffen?“
Wir haben keine Lust mehr und verzichten auf die Chance am nächsten Tag, wenn es überhaupt eine Chance für ein Gespräch gegeben hat.

Ökonomische Apartheid

Die Chance ergibt sich zufällig. Zwei Touristinnen haben einen Malkurs gebucht und sich mit dem Aborigine aus dem Volk der Anangu angefreundet. Sie vermitteln uns ein Treffen, was im zweiten Anlauf dann auch stattfindet.
„Das, was die Weißen euch erzählen ist doch Bullshit. Die Wahrheit ist, hier in Australien herrscht Apartheid, ökonomische Apartheid. Wir sind die Landbesitzer, uns gehört das Land und wir haben es bis heute nicht zurückbekommen. Auf dem Papier hat man uns das Land zwar gegeben aber uns gleichzeitig gezwungen, es sofort wieder an die Weißen zu verpachten. Es war nicht fair und es ist nicht fair. Zum Uluru kommen jedes Jahr über eine Million Touristen. Jeder zahlt 25 Dollar Eintritt. Hinzu kommen die Ausgaben, die sie in den Resorts und Hotels machen. Wir bekommen 5% von den Eintrittsgebühren. 95% nehmen uns die Weißen ab. Und dann soll ich Danke sagen, dass ich mir mittags ein Sandwich kaufen kann? Das was sie uns geben, sind ein paar Almosen. Wir wollen ihre Autos und Häuser nicht, ihr Hundefutter können sie auch behalten. Wir wollen nur unser Land zurück. Wie viel Geld machen sie mit den Touristen in den Nationalparks, wie viel Geld verdienen sie mit den Bodenschätzen, die sie aus unserem Land stehlen? Wie viel geben sie davon uns? Die Weißen wollen uns helfen? Bullshit, sie stehlen, sie betrügen und sie spielen mit falschen Karten. Es ist ökonomische Apartheid. Die Weißen bestimmen, wie die Einnahmen aufgeteilt werden. Wir wurden unter Druck gesetzt. Entweder ihr unterschreibt oder ihr kriegt gar nichts.

Gebt uns unser Land zurück

Du fragst nach den Schildern „No Alkohol“ und „No Pornographie“? Warum die Regierung die Schilder am Highway zum Uluru aufgestellt hat, kann ich dir sagen: Die Touristen sollen die Schilder lesen und unser Ruf soll beschädigt werden. Dann kann man der Welt erzählen: Guckt, alles Alkoholiker, alles Vergewaltiger. Alkoholiker können ihr Land nicht selbst verwalten, daher bestimmen wir, was mit den Einnahmen geschieht. Die Schilder sind Bullshit, sie sind da um die Welt zu verarschen.
Warum ihr Permits für unser Land bei Weißen kaufen müsst? Ökonomische Apartheid. Damit haben sie die Kontrolle über unsere Einnahmen und stecken sich eine saftige „Managementgebühr“ ein. Bei denen geht es nur um Dollars, Dollars, Dollars. Uns legt man dann Zahlen von verkauften Tickets vor. Wir müssen die Zahlen glauben, das Einzige was wir wissen ist, dass sie uns in der Vergangenheit immer belogen und ausgetrickst haben.“

„Warum brauchen wir überhaupt Permits?“
„Warum wollt ihr in unsere Gebiete? Lasst uns in Ruhe. Wir wollen keine Touristen, keine Prospektoren, keine Missionare. Immer wenn Fremde in unser Gebiet kamen, war es zu unserem Nachteil. Was wollt ihr? Nach Gold suchen? Nach Uran? Nach Bauxit? Und wenn ihr es gefunden habt, werden wir wieder enteignet? Wir wollen keine Schnüffler.“
„Und Touristen? Die bringen Geld.“
„Ja Geld, das ist eure Denkweise. Dollars, Dollars, Dollars. Und genau deswegen wollen wir euch nicht. Ihr kommt zum Gaffen ohne wirkliches Interesse oder würdest du mit mir drei Monate walkabouten? Würdest du das essen, was ich esse? Würdest du aus dem Wasserloch trinken, aus dem ich trinke? Willst du das nicht, dann bleib weg und lass dir im Cultural Center unsere Kultur erklären und du findest einen, der für deine Dollars Didgeridoo spielt.
Warum wir unsere Kinder nicht zur Schule schicken? Wir schicken die Kinder zur Schule. Aber was lernen die da? Bullshit, nur Bullshit. Meine Tochter kommt nach hause und singt: God save the Queen. Für so einen Scheiß muss sie nicht zur Schule gehen.“
„Zum Schluss. Was könnten die Weißen tun, um das Verhältnis zu verbessern?“
„Gebt uns unser Land zurück und lasst uns in Ruhe.“

Aborigine als Unternehmer

An der Tankstelle ein weiteres Gespräch mit einem Aborigine, das über den üblichen Smalltalk hinaus geht. Vincent tankt die Zugmaschine – einen Mack – seines Roadtrains voll und ich frage ihn:

Ein Aborigine als Fuhrunternehmer

Ein Aborigine als Fuhrunternehmer

„Wie viel Liter gehen da rein?“
„1400.“
„Wo geht es hin?“ „Runter nach Adelaide.“
„Wie viel Kilometer machst du im Monat?“ „Rund 25.000.“
„Mir sagte mal jemand, hier herrsche Apartheid, ökonomische Apartheid. War das leicht für dich als Aborigine den Job als Fahrer zu bekommen?“
Vincent guckt mich an: „Ja, mir gehört der Truck.“ Ich bin sprachlos, das merkt auch Vincent. „Apartheid ist lange vorbei, heute geht es um Qualifikation.
Als ich den Kredit für den Karren bei den Verbrechern in der Bank beantragt habe, war für die meine Bilanz wichtiger als der Stamm meines Vaters.“ „Du bist der erste Aborigine den ich treffe, der Unternehmer ist, warum gehört jede kleine Kau und Kotz Imbissbude einem Weißen?“ „Das hat nichts mit Apartheid zu tun, das liegt in unserer Kultur. Normalerweise gehört das, was dir ist, auch deinen Brüdern, deinen Cousins, eigentlich deinem Volk. Wenn du mehr hast als du selber brauchst, gibst du es ab. Du teilst. Dass es heute allen gut geht, ist uns wichtiger, als dass es morgen einem gut geht. Wir sparen nicht, wir teilen. Und oft musst du gar nicht teilen, deine Brüder kommen und holen sich das, was du hast, wenn sie wissen, dass du was hast. Deswegen fehlt uns Eigenkapital für Investments.“ „Aber du teilst nicht?“ „Ich hatte Glück, mein Vater wurde von einer Speditionsfamilie in Adelaide adoptiert und die schenkten ihm eine alte, aber gute Zugmaschine als er erwachsen wurde und auszog. Mir gehören heute drei Lastzüge. So ich habe keine Zeit mehr, ich muss los.“

Double Roadtrains

Double Roadtrains

 Ayers Rock – Uluru
oder Heilige Dollars und Respekt

Sonnenaufgang am Uluru. Von zwei festgelegten Stellen aus dürfen Touristen beobachten, wie der fälschlicher weise oft als Monolith bezeichnete Sandsteinberg seine Farbe von schwarz über tiefrot bis zu ocker wechselt. Mit ihrem eingebauten Blitzlicht versuchen die Knipser den Berg in drei Kilometer Entfernung aufzuhellen. Die Bilder würde ich mir gerne mal ansehen.

Uluru aus der Touristensicht

Uluru aus der Touristensicht

Den Spaziergang rund um den Berg im Morgenlicht sollte man sich nicht entgehen lassen. Interessante Erosionen bieten ein interessantes Schattenspiel. Der Berg ist nicht einfach nur ein Klotz.

Rückseite des Uluru

Rückseite des Uluru

Alles was von Natur aus interessant und ungewöhnlich ist, ist natürlich auch religiös und mit Fotoverboten belegt. Ich frage mich, ob die Urvölker vor 20.000 Jahren schon daran gedacht haben, dass irgendwann einmal Menschen mit 18 Megapixelkameras davor stehen werden und fotografieren wollen.

 

 

Fotografierverbot an den heiligen Stellen

Fotografierverbot an den heiligen Stellen

Wie kommt das Fotografierverbot zustande? Die Aborigines haben ja noch nicht einmal Bilder auf Papier oder Häuten gemalt. Ihre Malkunst bestand aus Körperbemalungen und Felsmalereien. Es gab nur mündliche Überlieferungen, aus denen dann das Fotografierverbot wurde? Seltsam. Genau können es die Ranger auch nicht erklären. Angeblich leben an diesen Stellen Götter und Ahnen, die nicht fotografiert werden wollen. Das heißt, die Götter haben in jüngster Zeit zu Jemandem gesprochen, in einer Zeit, als man schon Fotoapparate kannte?

Kann es sein, dass Kinder an den Felsen gemalt haben und die Mutter zu ihnen sagte: „Beschmiert nicht alle Wände. Und malt keine Bilder an unseren Zeromonieplätzen!“ Und daraus wurde beim Stille Post spielen „Macht keine Bilder“.

Zeige Respekt. Vor Göttern?

Also ihr seht, man kann auf dem Rundgang viel Nachdenken und jeder kommt zu einem anderen, zu seinem Ergebnis. Man kann auch auf den Uluru hinauf gehen. Die Anangu möchten dies nicht. Verbieten wollen sie es auch nicht. Dollars, Dollars, Dollars. Heilige Dollars.

Aufstiegshilfe auf den Uluru

Aufstiegshilfe auf den Uluru

Profifotografen, die ein spezielles Permit kaufen müssen (Dollars, Dollars, Dollars) verbietet man Bilder vom Aufstieg, von der Tonne auf dem Gipfel und von der Sicherungskette, die für die nicht so Trittsicheren angebracht wurde. Guter Kompromiss. Klettert hoch, aber zeigt es keinem.

Zeige Respekt. Respekt vor heiligen Dollars? Vor einer verkauften Religion? Vor einem Haufen Sand?

Ob man hoch geht oder nicht, die Entscheidung muss jeder selber treffen. Ums Nachdenken kommt man beim Uluru nicht drum herum. Wer sich nicht sicher ist was er tun soll, bleibt besser unten, das ist auf keinen Fall falsch.

Die rote Tonne markiert den höchsten Punkt

Die rote Tonne markiert den höchsten Punkt

Es gibt genauso viele Gründe hinauf zu gehen. Es ist ein Stück Natur. Es ist kein von Menschen geschaffenes Relikt, kein Gotteshaus, man beklettert keinen gebauten Altar.
Was ist, wenn jemand seine eigene Religion hat. Eine Religion für nur eine Person und diese Religion sagt, der Waldsee ganz bei euch in der Nähe ist heilig, ich möchte nicht, dass er fotografiert wird, ich möchte nicht, dass ihr in ihm badet. Darin schwimmt mein Gott. Zeigst du Respekt?

Am Uluru prallen Welten aufeinander. Dem einen ist nichts, aber auch gar nichts heilig und dem anderen, dem Aborigine ist alles heilig, nicht nur der Uluru, auch Seen, Quellen, Bäume, Termitenhügel. Okay, aus Termitenhügel lässt sich kein Geld raus pressen, deswegen darf man sie auch fotografieren.
Zeige Respekt: Wie ist es mit dem Voodoo-Glauben in Afrika? Zeigst du Respekt vor Tieropfer? Menschenopfer?

Bilde dir deine eigene Meinung. Nur wenn du die Entscheidung triffst hinauf zu gehen, sei dir gewiss, dass die Doppel-Moralisten, und das ist die Mehrheit, doppelt auf dich einprügeln.
Zeige Respekt.

Viel Spaß beim Steinigen

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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