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Ein ruhiger Platz am See
Russland - Mongolei

Gorbatschow und Kohl

„Oha, der ist wütend  – und auf Kollisionskurs zu uns“, rufe ich zu Sabine, die im Aufbau ein paar Schnittchen schmiert während ich draußen den Tisch decke. Roter Kopf, große Schritte und dann geht auch schon eine Schimpftriade über mich nieder. Er spricht schnell und laut, spuckt dabei und wischt sich dann immer mit dem Handrücken über seinen Mund. Außer, dass in jedem Satz mindestens zweimal das Wort „Straf“ vorkommt verstehe ich nichts. „Ich glaube nicht, dass ich den eingefangen bekomme“, rufe ich zu Sabine, „lass uns mal besser das Pferd packen.“
Meine Russischkenntnisse beschränken sich auf die zwei Worte „Prost“ und „Danke“, damit bin ich bisher ganz gut durchgekommen, aber hier ist Schluss mit „Sa sdorowje“ und „Spasiba“.

Wahrscheinlich regt er sich auf, weil ich das Schild „Durchfahrt verboten“ missachtet habe. Das Schild habe ich gesehen, aber auch den traumhaften Platz auf einer gemähten Wiese am See, keine 500 Meter weiter. Jetzt stehen wir auf dieser grünen Wiese, vor uns der schöne See und hinter uns eine schöne Villa mit eigenen Tennisplätzen, gepflegtem Garten, Gästehäuser, Pool und eben diesem Aufpasser, der langsam wieder Luft bekommt. Bevor wir abreisen will ich ihm wenigstens erklären, was wir vor hatten und mich irgendwie für die verursachte Aufregung entschuldigen.

Mit dem Finger zeige ich auf mich „Germaniya“, er versteht es nicht. „Berlin“, wir kommen zwar nicht aus Berlin aber Berlin kennt man weltweit. Das ist schon mal geklärt. Ich zeige auf den Tisch am See, zeige dass ich mir etwas in den Mund stecke und mache dann eine Handbewegung die zeigt, dass wir verschwinden. „Straf“, ist seine Antwort, aber er hat mein Zeichen „etwas in den Mund stecken“ als „Angeln“ verstanden. Ich zeige ihm Tomaten und Brot und er wird ruhiger.

"Gorbatschow"

„Gorbatschow“

Er zeigt auf die Villa 100 Meter hinter uns: „Gorbatschow“. Das Eis ist gebrochen. „Warte mal mit dem Packen, dass kriege ich noch hin“, rufe ich zu Sabine. „Michael Gorbatschow, Helmut Kohl“, dazu drücke ich meine Hände aneinander und zeige den gehobenen Daumen. „Helmut Kohl“, und er zeigt auf den Boden, auf die Stelle auf der ich stehe. Ich wiederhole fragend: „Helmut Kohl?“, und zeige auf den Boden. Er nickt und zeigt auf die Villa: „Gorbatschow, Kohl“, und simuliert eine Umarmung und einen Bruderkuss.

Meine Gedanken spreche ich einfach in Deutsch, vielleicht versteht er den Sinn, wenn nicht, ist es auch egal.

„Wenn unsere Präsidenten (Ich kenne den Unterschied zwischen Präsident und Kanzler, will es aber nicht verkomplizieren), also wenn unsere Präsidenten Freunde waren, dann sind wir auch Freunde und müssen uns nicht streiten.“ Ich zeige auf ihn und nenne ihn „Gorbatschow“, zeige auf mich und nenne mich „Kohl“, zeige auf den Tisch und simuliere dass ich mir etwas in den Mund stecke.
Zwei Minuten später sitzen wir zu dritt auf der Bank am See. Mit essen mag er nicht, nur mal zaghaft ein Stück von der Salami probieren.
Die Situation ist entspannt, er erzählt viel, dessen Inhalt ich hier nicht wiedergeben kann weil ich ihn nicht verstanden habe. Ich erzähle ihm von unserer bezaubernden, wunderschönen, intelligenten Tochter und Sabine zeigt stolz ein paar Bilder unserer Enkel.
„Das Wichtigste im Leben: Die Kinder sind gesund und Frieden“. Er versteht und er bietet uns an, dass wir hier solange bleiben können wie wir wollen. Er schließt an der Seitenmauer eine kleine Tür auf und wir können dadurch auf das Gelände und die Toilette in einem Gästehaus benutzen. Und wenn Kohl hier angelt, ist das kein Problem.

Ich werde Gorbatschow in Erinnerung behalten, seinen richtigen Namen kenne ich leider nicht und er wird sich vielleicht noch eine Weile daran erinnern, dass er mal mit Kohl gefrühstückt hat.

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

This article has 2 comments

  1. Detlev

    Da wird ein kleines Gartentor gleich zum Symbol des „Eisernen Vorhangs“, da geht einem doch das Herz auf ?

  2. Thomas Neubauer

    Wenn alle die sich erst „fremd“ sind und vor Furcht brüllen oder schimpfen, dann aber einen Weg finden sich zu verständigen und zu verstehen, würde es der Welt deutlich besser gehen.
    Grüße an „Kohl“ und „Gorbatschow“ von Thomas
    ( auch wenn ich kein Freund von Helmut Kohl bin )

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