Ein Arschloch und ein guter GAZ 4×4
Was für ein dreckiges Charakterschwein, was für eine Pestzecke, der Blitz soll ihn …, ein Arschloch halt. Während der zwei Kilometer, die ich über die feuchte Erdstraße zurück laufe, reagiere ich meinen Ärger durch das vor mich hin Sagen von Schimpfwörtern und Verfluchungen ab. Aber es bleibt ein Arschloch.
Das erste russische Arschloch überhaupt auf der Reise.
Aber der Reihe nach.
Am Abend verlassen wir die Asphaltstraße etwa 60 Kilometer westlich von Novosibirsk. Duplenskaya heißt der Ort genau. Für die Nacht wollen wir einen ruhigen Platz abseits der Straße suchen. Nicht ganz leicht, es hat den Nachmittag geregnet und hier in der Ebene ist der immerwährende Sumpf noch weicher.
Wir finden eine – zwar nasse – Wiese, von der ich ausgehe, dass wir sie mit Allrad und groben Profil, am nächsten Morgen wieder verlassen können.
Über Nacht nieselt es und unser Steyr sackt ein paar Zentimeter tiefer in die Wiese. Aber unser grobes Profil krallt sich wie Zahnräder ins Gras und baut genügend Gripp auf, so dass wir die Erdstraße erreichen.
Ich weiß nicht warum, nennen wir es ruhig Blödheit, ich fahre nicht in der Mitte auf dem Damm der Straße, wie es jeder mit einem IQ von 35 getan hätte, nein ich fahre dort, wo jene fahren, die einen IQ mit einer Null vor dem Komma haben, am rechten Rand. Nasse Reifen und eine aufgeweichte Erdstraße, die leicht zum Seitengraben geneigt ist, führt zu einem Rutschen genau in diesen Graben. Sabine schreit: „Wir kippen um“, doch wir kippen nicht, aber der Steyr steht in einer äußerst unschönen Position.
Wir klettern aus dem Auto, nicht ganz einfach in der Schräglage, und begutachten die Situation. Die Straßenböschung ist weich und steil, der vier Meter breite Graben ist etwa einen Meter hoch mit stinkendem Wasser gefüllt. Frosche quaken und Millionen von Moskitos umschwirren uns und saugen sich satt und fett.
„Der bewegt sich doch.“ Sabines Stimme klingt panisch. Tatsächlich, der Steyr sackt tiefer auf der Grabenseite ein. Und er rutscht ganz langsam weiter in Richtung Graben. Es gibt kein Halten auf der schiefen Bahn.
Scheiße, Scheiße, Scheiße, die Zeit läuft gegen uns, der wird in den Graben fallen. „Er bewegt sich nicht mehr.“ Ich stelle ein Streichholz an das Hinterrad, keine Bewegung erkennbar, doch nach 10 Minuten ist das Streichholz umgefallen, er rutscht doch.
Diese Straße wird kaum befahren, zwei Kilometer entfernt ist die Hauptverbindungsstraße Omsk – Novosibirsk, dort ist auch eine Tankstelle. Ich fotografiere den schräg stehenden 12M18 und nehme die Kamera mit, um die Situation zu erklären. Die Dame an der Kasse schickt mich zum Wachmann, der mit zwei Tankwarts in einem Häuschen sitzt und Sudokus löst. „Kein Problem.“ Er telefoniert. So wie ich es verstehe ist es noch zu früh, wir haben kurz nach 7 Uhr, ja wir sind Frühaufsteher, und der Bauer schläft noch. In seinem Lada rast er mich zurück zu meinem Fahrzeug.
Die Verständigung geht zwar mit Händen und Füßen, ist aber eindeutig und klar: Wir sollen beim Auto warten, er organisiert einen Traktor und kommt mit diesem zurück.
Wir nehmen unsere Jacken als Unterlage, setzen uns auf die Straße und füttern die Mücken.
Der Steyr rutscht immer weiter in den Graben. Ich kann schon kein Streichholz mehr an das Hinterrad stellen, weil dieses mittlerweile vom Boden abgehoben ist und sich in der Luft befindet. Gleich wird es „platsch“ machen und der Steyr liegt auf der Seite im Sumpf. Es ist ganz klar zu erkennen, der Steyr bewegt sich gaaanz langsam in Richtung Abgrund und kippt dabei immer mehr. Der Traktor soll sich beeilen, das kann doch alles nicht so lange dauern. Stunden vergehen, wir warten. Nach drei Stunden mache ich mich erneut auf den Weg und laufe zur Tankstelle. Tankwart und Wachmann sitzen im Häuschen, hören Musik und lösen Sudokus, wie vor dreieinhalb Stunden. „Traktor?“, frage ich mit einem gezwungenen Lächeln.
Er gibt zu verstehen, dass er den Bauern angerufen hat, dann zuckt er mit den Schultern und wendet sich seinem Sudoku zu. Arschloch, ich lasse ihn sitzen und gehe ohne Verabschiedung aber fluchend zum Steyr zurück. Aus unserem Weg kommt ein BMW gefahren, ich stoppe ihn. Drei junge Männer und ein älterer haben die Situation erkannt, als sie an unserem Mobil vorbei gefahren sind. Der ältere Mann versteht etwas Deutsch. Kurze Diskussion, ja, sie werden einen Kamaz, URAL oder Traktor besorgen.
Ich gehe zum Auto zurück und tatsächlich, 20 Minuten später hören wir, wie sich ein klappriger LKW nähert. Ein Allrad GAZ. Seil hat er keines, aber zum Glück liegen zwei Bergegurte in meiner Dachbox.
Ich befestige einen Gurt am Federgehänge der Hinterachse und der Hakenkupplung des GAZ.
Der GAZ dröhnt, schwarzer Qualm liegt in der Luft. Der Steyr bewegt sich und steht ein paar Sekunden später auf dem Weg. Geschafft. Inzwischen ist der Lada mit Tankwart und Wachmann eingetroffen. Ich zeige allen Umstehenden zwei gehobene Daumen und freue mich riesig.
Der Tankwart antwortet mit dem Zeichen für Geld, indem er mit dem Daumen über Zeige- und Mittelfinger reibt. Die Jungs steigen in den BMW und sind verschwunden, bevor ich aus dem Führerhaus klettern konnte. Der GAZ-Fahrer antwortet auf meine Frage nach Bezahlung. „1000 Rubel,“ was ungefähr 15 Euro entspricht. Mehr als fair. Der Tankwart wird unfreundlicher, will Geld für sein Telefonat, ebenfalls 1000 Rubel. Ich gebe dem GAZ-Fahrer 2000 Rubel, die dieser nicht annehmen will. Ich zwinge ihm die 2000 Rubel auf. Der Tankwart wird fordernder, ich mache ihm klar, dass er mich mal … kann. Jetzt geht er den GAZ-Fahrer an, bis dieser ihm 1000 Rubel abgibt.
Wer weiß, wer hier alles mitliest und wer wen kennt.
Der ältere Mann, der letztlich die Hilfe organisiert hat, lebte einige Jahre in Koblenz und dort lebt auch noch seine Tochter, sie arbeitet als Anwältin oder Anwaltsgehilfin. Vielleicht erreicht auf diesem Weg ein lieber Gruß ihren Vater in Duplenskaya.
Oh Mann, da habt Ihr ja mal Glück gehabt. Wenn ich solche Bilder sehe, wird mir immer ganz anders.
Alles Gute für die Weiterfahrt!
Oh je, da wart Ihr ja in einer sehr mißlichen Situation – aber: Ende gut alles Gut!
Wäre eine hintere Maulkupplung in solchen Situationen hilfreich?
Weiterhin gute Reise – ohne zu kräftige Schräglagen ☺
Herzliche Grüße aus Berlin / Brandenburg
detlev
Eine Maulkupplung wäre nicht nachteilig gewesen, in diesem Fall wäre sie neutral gewesen. Ich hätte sie nutzen können. Aber eine Seilwinde hätte nichts genutzt.
Hallo ihr beiden, ich hab die Krise bekommen, als ich den Steyer in dieser Schräglage gesehen habe. Da habt ihr richtig Glück gehabt. Als wir mit Marc und Doro im Erg Chegagga waren sind wir an einer Düne auch sehr schräg rein gekommen und da schlug das Herz eine Weile oberhalb des Kehlkopfes, und unsere Schräglage war nicht so extrem. Gott sei Dank ist bisher alles gut gegangen. Und Gott sei Dank passieren immer mal wieder Missgeschicke…..sonst hätten wir ja auch nix zu erzählen.
Wir planen mittlerweile unsere nächste Tour, die im Januar starten soll und hoffen immer noch euch mal irgendwo über die „Füsse“ zu fahren. Bis dahin immer eine Handvoll Luft um den Steyer und für euch noch viele tolle Zeiten
liebe Grüße aus dem immer noch sonnigen Sachsenland
Frank und Gabi
Weiterhin sooo viel Glück und alles Gute wünscht euch Brigitte
Ihr seit so toll ????
Sofort Rückwärtsgang rein und raus wäre nicht möglich gewesen ? Je länger man wartet, um so mehr verschlimmert sich die Situation ja meist. Es sieht bedrohlich aus, aber der Schwerpunkt ist bei so einem LKW weit unten.
nein, habe ich sofort probiert, aber er rutscht augenblicklich hinten weiter in den Graben.
Ich freue mich das bei eurem Pech dann doch alles zum Guten kam. Finde es auch schön das du explizit erwähnst das diese negative Erfahrung ein Einzelfall ist. Ich wünsch euch weiterhin eine gute und Pannenfreie fährt. Passt auf euch auf! Liebe Grüße, BuGiDo