Warenkorb

Landweg nach Indien

Sadus in Varanasi

Varanasi

Das Wetter ist super, kein Nebel wie sonst. Ich will noch mal zum Hauptgate, wo ich gestern einige Sadus gesehen habe. (Menschen, die in Sack und Asche gehen und ihren Lebensunterhalt durch Betteln bestreiten und auf die Erleuchtung warten. Die Erleuchtung wird durch das Rauchen von Marihuana begünstigt.)

Sadu

Ich will ein Foto machen, während er tief an seinem Marihuana-Joint zieht. Der Platz wimmelt von Geschäftemacher, Schlepper, Bootsführer, Bettler, Kleinkriminelle, Leprakranken und natürlich Sadus, echte und unechte. In der Stadt richt es nach einer Mischung aus Abgasen, verbrannten Leichen und verbranntem Müll, dazu der Duft von Räucherstäbchen, Haschisch, Blumenblüten und Fäkalien.
Friseure bieten auf dem Platz ihre Dienstleistung. Männer sitzen auf den Stufen und lassen sich rasieren. Touristen in Saris lassen sich die Haare vom Kopf scheren oder sitzen meditierend auf den Stufen.
VerbrennungScheiterhaufenEinige Meter weiter werden im Akkord die Toten verbrannt. In den Gassen stapelt sich das Brennholz und ständig muss man sich an eine Hauswand quetschen, weil ein Toter auf einer Barre aus Bambusstangen durch die Gassen getragen wird. Vor den Scheiterhafen reihen sich die Bahren und die Toten warten auf die Verbrennung, zuvor wurden sie nochmals in den Ganges getaucht.
Bad im GangesFür die Hindus ist der Ganges heiliges Wasser, das in Gläsern mit nach Hause genommen wird und in dem gebadet und gewaschen wird. Für uns ist es eine stinkende Kloake.
Tote, die nicht verbrannt werden dürfen, jene die nicht eines natürlichen Todes gestorben sind z.B. Unfallopfer, werden mit dem Boot zur Flussmitte gebracht und mit einem Stein versenkt.
Natürlich werden nach der Verbrennung auch die Überreste insbesondere Becken und Brustkorb in den Ganges geworfen. Zwischen den Leichen laufen Touristen und Händler, Kinder versuchen Postkarten zu verkaufen mit verkohlten Leichenteilen als Motiv. In den Läden gibt es Kuchenstücke und von Ferrero die goldene Kugel „Rocher“.
Varanasi muss man gesehen haben, aber einmal reicht auch vollkommen.
Ich bin froh, keine Religion zu haben und nicht für mein Seelenheil im Ganges baden zu müssen.

Meditation

Ich, ein Guru

Ein Mann, von der Erscheinung vielleicht 15 oder 20 Jahre älter als ich, kommt auf mich zu und begrüßt mich. Kein Leprakranker, kein Tourist und kein Sadu, also einer aus der verbleibenden Gruppe der Gauner und Schlepper. Er besteht darauf mir die Hand zu geben, obwohl der übliche Gruß ohne Händedruck auskommt. Ich will nicht, befürchte irgendeinen Trick. Und so ist es dann auch. Er lässt meine Hand nicht mehr los und beginnt mit einer Hand- und Arm-Massage. In diesem Moment glaubt er noch, das er im Anschluss Geld bekommt. Ich kann meine Hand nicht wegziehen, denn er hält sie im Handgelenk fest. Okay, ich gebe auf und lasse ihn machen. Nach drei Minuten ist der Zauber vorbei und die Bettelei nach Bakschisch beginnt. Er sei arm, habe wenig zu essen und eine große Familie zu ernähren. Wir kennen das.
WerbungIch habe Lust, den Spieß umzudrehen und erinnere mich an die zahlreichen Werbeschilder in der Stadt von Wahrsagern, Horoskoplegern, Astrologen und Hellsehern.
Das kann ich auch. Ich nehme seine rechte Hand und packe sie im Handgelenk, jetzt gibt es auch für ihn kein zurück. Er muss sich auf die Stufen setzen und ich lese aus seiner Hand. Er wehrt sich, bettelt nach Geld. Keine Gnade.
Handlesen„Ich sehe in deiner Hand, du bist nicht arm, aber auch nicht reich, du bist dazwischen. Ich sehe, das du manchmal Fremden die Unwahrheit sagst, aber im Grunde ehrlich bist.
Du hast vier Kinder, drei Jungen und ein Mädchen,“ rate ich, um das Ganze auf die Spaßseite zu bringen, aber ich habe genau richtig geraten. „Scheiße, der glaubt jetzt wirklich ich könne aus seiner Hand lesen,“ sage ich zu Sabine. Und so ist es auch. Inzwischen hat sich eine Menschenmenge um uns versammelt. Jetzt gibt’s kein zurück.
„Eines deiner Kinder ist sehr clever, sehr intelligent es wird ein gutes Leben haben, aber auch den anderen wird es gut ergehen.“ In Kathmandu habe ich einen Handleser auf der Straße beobachtet, der einem Mann die Zukunft vorhersagte. Plötzlich fing der Mann an zu weinen, seine Zukunft sah wohl nicht so rosig aus. Damals hätte ich am liebsten den Quatsch beendet. Und jetzt halte ich die Hand eines solchen Leichtgläubigen. Aber ich werde nur Gutes vorhersagen.
„Du warst nicht immer fair und nicht immer gerecht zu deiner Frau und zu deinen Kindern, aber sie lieben dich über alles. Das Schicksal hat dir eine sehr gute Frau und sehr gute Kinder gegeben, daran siehst du selbst, dass es das Schicksal gut mit dir meint. Mach dir für deine Zukunft keine Sorgen.“
Ich lasse seine Hand los und er bleibt andächtig sitzen. Kein Wort mehr von Bakschisch und sonstigen Forderungen. Geschafft, das war richtige Arbeit. Doch jetzt fängt der Stress erst richtig an. Der Menschenmenge geht mit uns mit. Einige wollen von mir ebenfalls aus der Hand gelesen haben, aber ich will nicht. Ich habe die ersten Anhänger, als Guru könnte ich jetzt in Varanasi überleben. Einige sind hartnäckig, wollen unbedingt ihre Zukunft von mir vorhergesagt bekommen. Na gut, einen noch.

Ein junger Mann hält mir seine rechte Hand hin. „Setz dich auf die Stufen, ich will mal sehen. Du hast eine Freundin?“ Erschrocken zieht er die Hand zurück. Ich bekomme ebenfalls einen Schreck, habe ich da vielleicht eine Frage gestellt, die in diesem Kulturkreis tabu ist?
„Nein, ich hatte eine Freundin, aber seit ich verheiratet bin habe ich mit ihr Schluss gemacht.“
Er hat meine Frage nicht als Frage verstanden, sondern als Aussage.
„Dann ist es noch nicht solange her, denn in deiner Hand sieht es für mich so aus als hättest du sie noch, oder du denkst oft an sie.“
„Ja, ich habe sie noch, dass darf aber keiner wissen.“
Wieder steht eine Menschentraube um uns herum und jetzt ist auch der letzte Zweifler von meinen Fähigkeiten überzeugt. Natürlich sehe ich auch sein Schicksal positiv.
Durch enge Altstadtgassen entschwinden wir der Menschentraube. Ich denke an Westafrika zurück, damals habe ich mir schon vorgenommen, mit meinen Scherzen mehr aufzupassen, besonders in Ländern, wo selbst gebildete Menschen so leichtgläubig sind wie bei uns Vierjährige.

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert