Swasiland
Swasiland ist nicht groß, es hat etwa die Größe von Schleswig-Holstein. Um nicht nur auf der Hauptroute das Land von Südafrika nach Mosambik zu durchqueren, suchen wir eine kaum befahrene Offroad-Strecke, die von West nach Ost verläuft.
Stundenlang windet sich das Erdsträßchen mit spektakulären Steigungen bzw. Gefällstrecken durch Wald und Busch, alles ist grün. Die wenigen Menschen winken uns freundlich zu oder führen sogar einen kleinen Tanz am Straßenrand auf, wenn sie erkennen, dass wir Ausländer sind, keiner bettelt.
Eine Nacht im Busch von Swasiland
Am Abend biegen wir in ein kleines, trockenes Flussbett und finden unter einem Baum mit weit ausladender Krone den idealen Übernachtungsplatz.
Irgendwo muss jemand wohnen, denn wir hören leise das Stampfen von Maismehl. Und dann entdecken wir fast genau gegenüber einen kleinen Pfad der aus dem Dickicht auf die Lichtung tritt. Folgt man mit den Augen dem Pfad, erkennt man nicht weit entfernt eine kleine runde Hütte, aus Lehm und Steinen gebaut und mit Schilfgras gedeckt. Vor der Hütte brennt ein kleines Feuer und es wird gekocht. Zwei Mädchen nähern sich zaghaft und grüßen von weitem. Ein kleiner Junge mit Rotznase, der soeben das Laufen gelernt hat, kommt ebenfalls und versteckt sich hinter seinen Schwestern. Kaum zu glauben, aber in den nächsten Minuten kommen weitere sechs Kinder aus der kleinen Hütte. Das älteste Mädchen ist 14, der Kleinste zwei und die Mutter wieder schwanger. Im Busch stehen – für uns nicht sichtbar – zwei weitere Hütten und so haben wir drei Nachbarn und das erklärt auch, warum wir von teilweise 30 Kindern umzingelt sind. Aber von wegen unerzogene Kinderhorde, Bitte und Danke gehören selbstverständlich dazu und eine Disziplin, wie wir sie nur selten erlebt haben. Der Becher Cola, den wir dem ältesten Mädchen anbieten kreist in der Runde. Jeder nimmt einen Schluck und gibt ihn an seinen Nächsten weiter. Kein Gezerre, kein Geschrei. Zum Schluss stellt das Mädchen mit einem Knicks und einem „Thank you so much“ den Becher wieder auf unseren Tisch.
Ihr Englisch ist überraschend gut und so ist eine Unterhaltung mühelos möglich. Eigentlich erstaunlich, denn in Swasiland gibt es keine Schulpflicht und die Eltern müssen ein Schulgeld zahlen, dennoch schicken 80 % der Eltern ihre Kinder (auch die Mädchen) in die Schule. Der größte Teil der Swasi und so auch unsere drei Nachbarn, leben von dem was sie selbst auf ihrem Acker anbauen.
In dem kleinen Garten vor der Hütte wachsen Bananen, Blumenkohl, Kartoffel, Lauch, Zwiebel, Tomaten, Möhren, Spinat, Kohl, Zuckerrohr und Mais. Dazu ein paar Hühner, Schweine, Ziegen und 15 Kühe.
Im weiteren Gespräch erfahren wir, dass in den drei Hütten die Frauen mit ihren Kindern leben, aber alle haben den gleichen Mann bzw. Vater. Polygamie ist in Swasiland normal. Der König hat über 100 Frauen und keiner kennt die genaue Kinderzahl.
Während wir unser Marmeladenbrot mit 30 Kindern teilen, steht plötzlich wie aus dem Nichts eine große Schüssel mit Obst und Gemüse aus dem Garten auf unserem Tisch.
Die Gartenfrüchte sollen – so wie ich es verstanden habe – im nächsten Ort verkauft werden und man bietet uns an oder bittet uns, etwas zu kaufen. Sabine nimmt drei Bananen und drei Tomaten aus der Schüssel und ich frage nach dem Preis. Ein großes Missverständnis, der Inhalt der ganzen Schüssel soll unser Geschenk sein.
Inzwischen hat die große Schwester das Marmeladenbrot in halbwegs gleichgroße Stücke geteilt und fast 30 paar Kinderaugen starren mich an und halten ihr zugeteiltes Brotstück in der Hand. Erst als ich in mein Brot beiße, stecken sich alle hastig das Brotstück in den Mund und verschlingen es ohne zu kauen.
Von weiter entfernt gelegenen Hütten kommen einige Jugendliche und junge Männer zu uns. Ebenfalls überaus freundlich und höflich. Sie sind interessiert wie es in Deutschland ist, ob es ein zivilisiertes Land wie England sei (England war Kolonialherr), was wir für Tiere essen, ob wir auch einen Baum pflanzen müssen, wenn wir einen gefällt haben, ob wir traditionelle Medizin verwenden und wie wir unsere Toten bestatten.
Was sind Boore?
„Gibt es bei euch auch Boore?“
„Was sind Boore?“
„Ob es in Deutschland auch weiße Farmer gibt?“
„Natürlich, in Deutschland gibt es Farmer und natürlich sind die weiß.“
„Nein, Boore, weiße Farmer, die euch das Land weggenommen haben.“
Jetzt macht’s klick, er meint die Buren. Aber was hat Swasiland mit den südafrikanischen Buren zu tun? Swasiland ist das letzte richtige Königreich in Afrika. Der König hat alle Macht und wird von seinem Volk verehrt. Alte Traditionen und Familienstrukturen funktionieren, Kriminalität ist praktisch unbekannt und so ist Swasiland auch eines der sichersten Reiseländer überhaupt.
„Nein, Boore gibt es bei uns keine.“
„Ihr habt Glück gehabt. Uns haben sie das Land gestohlen. Man müsste sie alle killen.“
„Mord ist keine clevere Lösung.“
Später lese ich im Geschichtsbuch nach. Die Buren kamen um 1850 nach Swasiland und nutzten deren Weideland im Tausch gegen Alkohol. Der König wurde alkoholabhängig und die Buren nutzten ihre Chance und kauften dem König 1600 Quadratkilometer fruchtbares Land für 30 Kühe ab. 40 Jahre, bis zum Tod des Königs, machten die Buren ihre „Geschäfte“ mit dem Alkoholabhängigen, dann waren sie Eigentümer von ganz Swasiland, ihnen gehörten alle Bergbau- Handels- und Bankenkonzessionen.
Um 1900 brach der Burenkrieg aus, den die Briten gewannen. Lange zögerten die Briten, den Buren das Land zu enteignen. Sie enteigneten dann aber doch 1/3 des Landes und gaben es den Swasi zurück. Die Buren vertrieben daraufhin die Einheimischen von ihrem Grund und Boden.
Statt mit Gewalt und Mord zu reagieren, gründete der neue König einen Fond, um das Land von den Buren zurückzukaufen. Heute gehören wieder 60 Prozent des Landes den Swasi, aber immer noch besitzen 2 Prozent der Bevölkerung (Buren) 40 Prozent des Landes.
„Nein Mord ist keine Lösung, das gibt Krieg und wir wollen keine Gewalt in unserem Königreich,“ entschuldigt sich der junge Mann für seinen Mordgedanken.
Jetzt ist mir auch klar, warum der Bure Angst hat, im Busch zu übernachten und sich nur auf eingezäunten Campsites sicher fühlt. Wäre ich Bure, würde ich mich auch nicht mehr in den Busch trauen. Wir hingegen fühlen uns absolut sicher.
Die Dorfbewohner verabschieden sich. Spät abends leuchtet das Flackern des Lagerfeuers vor der Rundhütte zu uns herüber und im Bett liegend hören wir aus weiter Ferne rhythmisches Trommeln, das sich mit den Nachtgeräuschen des Waldes mischt.
Morgen geht es weiter nach Mosambik.
Bleibt nur, dem König und seinem Volk viel Glück zu wünschen, wenn sie nun ihren bekannten traditionellen Pfad verlassen und auf der modernen Straße in die Zivilisation gehen.
Jedem Reisenden kann ich nur empfehlen, mal ein paar Tage abseits der Hauptstraßen durch Swasiland zu fahren und den Kontakt mit den Menschen zu suchen.