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Riversidebar die "Animalbar"
Australien

Todd Tavern – Riverside Bar – Animal Bar

Ein Auszug aus Facebook Kommentaren auf einer Australien-Seite: „Australien ist das schönste Land der Erde, da gibt es wirklich NICHTS was mir nicht gefällt. Ich habe nur schöne Erinnerungen. Außer, die Marmelade war etwas zu süß.“
Da kann ich doch helfen, ich habe noch ein paar saure Bonbons in der Tasche. Hier schon mal eins, es kommen noch mehr.

In Alice Springs gibt es drei so genannte „Animal Bars“. Es sind die Treffpunkte der saufenden Aborigines. Die von den Aborigines bevorzugte Bar ist die Todd Tavern oder Riverside Bar. Die Riverside Bar ist gleichzeitig die krasseste der drei Bars. Also rein mit uns.

Riverside Bar

Ich parke den Toyo neben einem alten, dunkelroten Mitsubishi Galant, die Seitenscheiben eingeschlagen, das Dach verbeult, als wäre darauf getanzt worden. Hier muss es sein. Zwanzig vor elf am Morgen. Vom Parkplatz sind es nur wenige Schritte auf die andere Straßenseite, am gelb getünchten Haus steht groß „Taverne“. Vor der unscheinbaren Eingangstür stehen etwas mehr als ein Dutzend Männer, alles Aborigines, in schmutzigen, fast zerlumpten Klamotten. Das Schild an der Überdachung des Eingangs schafft Gewissheit. Hier sind wir genau richtig, Riverside Bar, von den Einheimischen nur „Animal Bar“ genannt. Die Schwarzen machen eine Gasse, lassen uns durch, nur der riesige, weiße Kleiderschrank, ein amüsiertes Grinsen im Gesicht, steht mit gekreuzten Armen in der Tür und denkt gar nicht daran, auch nur so viel Platz zu machen, dass wir uns durchzwängen könnten. Der Preisboxer grinst uns einfach nur freundlich an, sagt nichts. Also machen wir den Anfang: „Wir wollen da rein.“ „Der Eingang ist auf der anderen Seite des Gebäudes.“

Auf der anderen Gebäudeseite geht es in die „normale“ Taverne, sieht aus wie in jedem Pub und dort saufen die Weißen, soweit hatten wir die Lage schon vorher gecheckt. „Wir wollen da rein.“ Dies Mal betone ich das Da mit Nachdruck und zeige auf den Spalt zwischen seinem Oberarm und dem Türrahmen. „Das ist nichts für euch.“  „Ob das was für uns ist oder nicht, entscheiden wir selbst, wir wollen da rein.“ „Die rauben euch aus. Ich helfe euch da nicht.“ „Ich habe nur 20 Dollar in der Tasche, dafür starte ich keine Prügelei, aber ich starte eine Prügelei um da rein zu kommen.“ Er grinst „Okay, geht.“ Geschätzte 120 kg Muskelmasse bewegt sich ein Stück zur Seite und gibt den Weg frei. So, wir sind schon mal ohne Schlägerei drin.

Sklaven des Alkohols

„Bar“ sollte man es nicht nennen, es ist ein Keller. Durch die kleinen vergitterten Fenster fällt so gut wie kein Licht in den Raum. Die graue Ölfarbe des Betonbodens ist nur noch dort zu erkennen, wo sie nicht abgelaufen ist. Die Wände sind im unteren Bereich dunkelblau gestrichen, für den oberen Bereich hat der Malermeister blaugraue Ölfarbe gewählt, vielleicht auch nur die Reste zusammengeschüttet. An der Decke hängen unverkleidete Neonröhren wie in einer Lagerhalle, daneben ein paar alte Ventilatoren, die mühevoll den Mief quirlen. Kein Teppich, kein Vorhang nichts Schönes. Eine Waschküche hat mehr Flair.

Es riecht nach kaltem Schweiß. Nein, es stinkt, als wenn jemand die Gummistiefel nach drei Tagen auszieht. Wir gehen zur Bar. Werden von ein paar Augen gemustert, die meisten der geschätzten 120 Menschen beachten uns überhaupt nicht. Sie stehen in kleinen Grüppchen zusammen und erzählen. Einige scheinen nicht mehr ganz da zu sein, sie starren einfach vor sich auf den Boden, als gebe es dort einen magischen Punkt, einfach nur starren ohne irgendeine Regung. Hinter der Bar ein Mann, etwa 30 Jahre, dürr, absolut dürr, rote, lange Haare, roter Dreitagebart. Die Haut, die nicht von der ausgewaschenen Jeans und dem Fußballtrikot verdeckt wird, ist mit farbigen Tattoos überzogen. Der Kampfhund an der Tür und der Barmann sind von uns beiden abgesehen, die einzigen Weißen hier im Keller.

„Zwei Cola bitte.“ Noch nie, wirklich noch nie, standen so schnell zwei billige Einmalplastikbecher mit Cola vor mir. „Sechs Dollar.“ Sechs Dollar, wow, Preise wie im Puff, ich will jetzt hier keinen Tanz machen und lege meinen 20-Dollar Schein auf den gemauerten Tresen und denke an die Warnung des Türstehers: „Ihr werdet ausgeraubt und ich kann euch da nicht helfen.“ Es gibt keine Barhocker, es gibt genau acht alte, billige, weiße Plastikstühle, die von alten Frauen mit Whisky-Cola Dosen in der Hand und von zwei alten Männern mit Krücken und Bierdosen genutzt werden. Gegenüber dem Tresen trennt eine Arkadengalerie einen Nebenraum ab. In diesem Nebenraum sind auch die vergitterten Fenster nach draußen. Mein allererster Gedanke war, wie im Rumpf eines Sklavenschiffes. Bilder aus dem Film „Roots“ Anfang der 80ziger von dem Regisseur  David Greene kommen in Erinnerung. Nur hier ist es keine Historie, hier ist heute und jetzt. Sklaven des Alkohols, nicht des weißen Mannes, ausweglos und trostlos, wobei auch hier ein weißer Mann das Geld mit ihnen verdient. Und der verdient nicht schlecht.

Rauferei in der Bar

Der Rothaarige ist schnell, zack, zwei Dosen Bier Victoria Bitter aus dem riesigen Kühlschrank hinter ihm auf den Tresen. Und der Nächste. Drei Dosen Whisky-Cola. Flaschen und Gläser gibt es keine, der Sicherheit wegen. Nur Dosen und für die beiden Weißen Plastikbecher. Jemand wirft ein paar Münzen in die Jukebox: „Money for nothing“ von Dire Straits wummt durch den Keller. Einige Aborigines spielen Billard an den beiden Tischen rechts der Bar. Keiner hat auch nur die geringste Ahnung, wo die Kugel hinläuft, die er anstößt, wie im richtigen Leben. Dahinter eine Postertapete einer nackten, richtig gelesen, nackten Rugbymannschaft in Lebensgröße. Keine Aufregung, alles wird von den Händen verdeckt.

Plötzlich Geschrei, der Anfang einer Rauferei zwischen einer alten Frau und einem 25 Jährigen. Sofort springt der rothaarige Hänfling über den Tresen, vier, fünf große Schritte zu den Streitenden, dabei noch drei leere Dosen vom Boden aufgesammelt und in das alte Ölfass geworfen, das als Müllbehälter dient. Ein paar wenige Worte zur Frau, die den Streit um Geld angefangen hat und Ruhe is. Respekt! Das hätte ich ihm nicht zugetraut. Auf dem Weg zurück hinter den Tresen wieder schnell Müll aufsammeln und weiter Rum-Cola und Bierdosen im Accord aus dem Kühlschrank räumen und Dollars in die Kasse werfen. Der ist richtig schnell, jeder Headhunter wäre froh, wenn er so jemanden im Programm hätte. Aber wo wird soviel gesoffen wie hier?

Wieder ins Getümmel, wieder Streit schlichten. Wieder geht es um Geld, das einer (noch) hat und der andere zum Saufen braucht. Auf dem Weg wieder Müll aufsammeln und ein paar freundliche Schulterschläge. Es scheint als kenne der Tatoowierte jeden mit Namen. Ich weiß nicht, was er ihnen sagt oder wie er es macht. Ein paar Worte reichen und der Streit ist wieder geschlichtet. Der ist echt gut. Die Regeln in der Bar sind einfach und klar. Keine Fotos, auch nicht mit dem Handy, keine Gewalt, kein Alkohol an Besoffene. Als besoffen gilt, wer nicht mehr stehen kann, daher auch keine Stühle. Wer Streit anfängt, wird angezählt. Bei fünf ist Ruhe oder der Türsteher kommt und dann ist für den Rest des Tages Lokalverbot. Wird er zweimal angezählt muss er fünf Minuten raus vor die Tür. Daher lungern immer 10-20 vor dem Eingang rum. Wer das zweite Mal rausfliegt, kommt nicht mehr rein. Die Regeln sind knallhart, keine Diskussion und der Türsteher boxt sie durch.

Die Eindrücke sind niederschlagend

Nach einer halben Stunde winken wir dem Barkeeper kurz zum Abschied und bewegen uns zum Türsteher. „Ihr habt es von allen Weißen am längsten ausgehalten.“ „Es war okay, die Musik war gut. Du hast ja einen richtig ruhigen Job hier, das könnten doch auch Backpacker für kleines Geld machen.“ Er lacht. „Heute ist nicht viel los, kommt mal am Freitag. Freitag gibt’s Geld. Da sind wir hier zu zweit und da ist in den vier Stunden keine Zeit, sich mal ne Kippe anzuzünden.“ Die Bar ist täglich nur von morgens zehn bis mittags zwei Uhr geöffnet. Um zwei öffnet der Bottlestore eines anderen Weißen und da ist der Schnaps dann billiger.
Ich denke noch lange nach. Sie tun mir irgendwie Leid. Leid, weil sie mit dem Schiff untergehen, Leid weil sie die Fesseln aus Sucht, Lethargie und Stumpfsinn nicht durchschlagen, vielleicht nicht durchschlagen können.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so niedergedrückt war. Es war einer der bewegendsten Momente der Reise. Für Andere war nur die Marmelade etwas zu süß.

Als Ergänzung suche ich mal ein paar Statistiken und schreibe was zum Alkoholkonsum, das saure Bonbon bekommt ihr in den nächsten Tagen. Heute schon mal zwei Links zum gleichen Thema, ausführlicher und tausendmal besser geschrieben. Die Bilder in den Artikel sind nicht in der Riverside Bar aufgenommen.

www.theaustralian.com.au/news/features/last-stop-on-the-road-to-ruin/story-e6frg6z6-1226023520582

www.themonthly.com.au/crisis-alcoholism-booze-territory-anna-krien-3781

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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