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Transafrika

Mauretanien 2007

Die Westsahara liegt hinter uns. Fast 1.500 Kilometer ging es an unverbauten Stränden direkt der Küstenlinie entlang. Ein besonderes Schauspiel bot uns der starke Rückenwind. Der Wind blies mit etwa 70 km/h, dadurch entstand für uns der Eindruck, dass der Schatten der Wolke über uns, vor uns herläuft. Und es kam noch besser: Ende Oktober ist die Zeit der Zugvögel. Ein Schwarm Küstenseeschwalben segelt mit gleichem Tempo die Küstenlinie entlang. Stundenlang zogen wir gemeinsam in Sichtweite gen Süden.

Die Grenzabfertigung Marokko – Mauretanien gab einen Vorgeschmack auf tiefstes Afrika, aber nach drei Stunden war der Budenzauber vorüber. Die Mauretanier kontrollierten ausgesprochen gründlich, viel gründlicher als ich es in Erinnerung hatte. Und das Ganze gleich vier Mal und jedes Mal mit Bettelei nach Uhr, Handy, Sonnenbrille, Jeans oder sonstigen Dingen verbunden, mit denen man bei den Kollegen Eindruck schindet.

In Nouadhibou ist es wie immer: Müll, Dreck, schrottreife Autos und jede Menge Fliegen. Man fragt sich ständig: „Ist das die Stadt oder der Slum?“ Aber dann wird einem schnell klar, der Slum ist die Stadt, oder die Stadt ist ein Slum.

Auffallend sind die vielen Schwarzafrikaner(innen). Hübsche Frauen in bunten Gewänder mischen sich auf dem Markt mit völlig verhüllten arabischen Frauen, von denen man nur vermuten kann, dass sie hübsch sind. In den Geschäftsstraßen blüht der Handel. Es sieht aus wie in einer Stadt in Mali oder Burkina Faso. Alte Waschmaschinen und Kühlschränke aus Europa werden genauso angeboten wie bunte Tücher aus West-Afrika und natürlich alles, was es in Marokko zu kaufen gibt, wird inzwischen durch die Westsahara gekarrt.

Wir fragen uns: „Was machen die ganzen negriden Menschen hier?“ und bekommen später die Antwort.

Zunächst gehen wir in ein Cafe frühstücken. Es sieht von außen ungewöhnlich gut aus. Ein Wachmann steht vor der Tür. Innen geht es vornehm zu. Scheinbar frühstücken hier nur Europäer, der Stadtdirektor und der Eisenbahndirektor. Okay, unser Frühstück aus je einer Tasse Kaffee und einem Croissant kostet den Wochenlohn eines Hafenarbeiters. Wir hätten auch in Paris frühstücken können. Na ja – fast.

„You have a nice car, Sir. Where are you going?“ fragt mich ein junger Mann in bunten Kleidern. Ich wundere mich, dass er Englisch spricht und nicht französisch.

Wir kommen ins Gespräch. Er kommt aus Liberia und ist auf dem Weg nach Spanien. Illegal natürlich. Jetzt ist in dieser gottverlassenen Stadt erst mal Endstation. Der Weg per Boot nach Gran Canaria ist schwieriger und teurer, als er und die meisten seiner Freunde sich gedacht haben. Er hat etwas Gold und Diamantensplitter, damit will er die Schlepper bezahlen.

Viele haben nichts mehr, haben sich hier aus alten Ölfässern und Pappe ein „Haus“ gebaut.

„Willst du die Realität hören, willst du wissen, was dich in Europa erwartet?“ frage ich ihn.

„Ich kenne die Realität in Liberia. In Liberia habe ich keine Chance. In Europa habe ich vielleicht eine ganz, ganz kleine Chance und wegen dieser kleinen Chance habe ich mich auf den Weg gemacht.“

Eine hübsche Lady steigt in den schrottreifen Mercedes eines Mauren. Große Schilder und bemalte Hauswände warnen vor Aids.

Draußen vor dem Hafen liegen alte, halb versunkene Schiffe, die schon eine halbe Ewigkeit aufs abwracken warten. Ein Bild symbolisch für die ganze Stadt.

Aber damit kein völlig falsches Bild entsteht:

Natürlich sind nicht alle Schwarzafrikaner in Nouadhibou auf dem Weg nach Europa. Viele sind ehemalige Sklaven und leben hier in ihrer Stadt. Die Sklaverei wurde in Mauretanien als letztes Land der Erde abgeschafft, vor etwas mehr als 20 Jahren. In einem Bericht der UN aus dem Jahr 2001 wird Mauretanien ermahnt, entschiedener die Abschaffung durchzusetzen, denn immer noch gibt es Sklaverei in Mauretanien.

Für Eisenbahnfreunde

Wir verlassen Nouadhibou und fahren ein Stück entlang der Eisenbahnlinie, auf der die längsten Güterzüge der Welt fahren. Sie transportieren Eisenerz aus den Minen bei Choum quer durch die Wüste in den Hafen von Nouadhibou. Ich fotografiere und Sabine zählt die Wagen, die von bis zu fünf Lokomotiven gezogen werden. Es sind 170 vierachsige Erzwagen. Zum Vergleich: In Deutschland ist ein Güterzug mit 25 solcher Wagen schon einer der Längsten.

Die größte Katastrophe in der Geschichte der Pistenkuh

Nouakchott liegt hinter uns, wir fahren die Teerstraße in Richtung Senegal.

Statt der Fähre bei Rosso wollen wir wieder über den Damm fahren und die Grenze nach Senegal bei Diama überqueren, aus Kostengründen.

Im Sahara Buch von Gerhard Göttler gibt Gerhard Koordinaten für einen Pistenabzweig an, wo er annimmt, das die Piste in südwestliche Richtung läuft und auf den Damm trifft. Aber bei den angegebenen Koordinaten findet sich weit und breit kein Pistenabzweig. „Macht nichts, dann fahren wir halt die Piste, die wir schon vor drei Jahren genommen haben.“ Vielleicht zehn Kilometer später führt eine geschobene Piste von der Teerstraße weg Richtung Westen.

„Die nehmen wir, wenn die weiter in Richtung Westen führt, dann muss ja die göttlerische Piste irgendwann von Norden kommend, darauf treffen.“

Die Schotterpiste ist gut zu befahren, endet jedoch nach 15 Kilometern bei einer Ansammlung von Nomadenzelten. Geländewagenspuren gehen weiter Richtung Westen. Es geht durch eine weite Ebene und schließlich stehen wir vor einer Dünenkette hinter der man die Brandung des Atlantik hört. Die Spuren der Geländewagen, wie es aussieht zwei oder drei Fahrzeuge, führen an dieser Dünenkette entlang, ändern die Richtung auf Süd. Eine Piste von Norden kommend haben wir übrigens nicht entdecken können.

„Unser GPS sagt, wird sind knapp 80 Kilometer vom Damm entfernt. Sollen wir einfach mal den Spuren folgen, die führen ja in unsere Richtung?“ frage ich Sabine. „Ganz wie du meinst, Liebling.“ Das bedeutet soviel wie: „Mach was du willst, aber ich lehne jede Verantwortung ab, was da passiert.“

Also Gas. Im Slalom treiben wir die Pistenkuh um Strauch und Buschwerk, das zu Hauf in dieser Ebene wächst. Esel und Kamele laufen frei herum und sehen aus, als hätten sie noch nie arbeiten müssen. Wir folgen weiter dem Dünenverlauf. Links sieht man in der Ebene Salzpfannen und manchmal Seenflächen, wo man nie sicher ist, ist es eine Luftspiegelung oder ist es tatsächlich Wasser. Steigt man auf die Sanddüne sieht man, dass es tatsächlich Wasser ist.

Am späten Nachmittag, es sind noch 38 Kilometer bis Keur Massene, wird es schwieriger, den Dünen zu folgen. Weicher Sand erschwert das Fahren deutlich. Die Geländewagenspuren vor uns weichen in die Ebene aus. Eine gute Idee.

Und dann nimmt die Katastrophe ihren Lauf.

Ich merke wie die Hinterräder die Haftung verlieren. Schlammbrocken fliegen durch die Luft.

„Scheiße. Das ist alles weich.“ Ich gebe Vollgas. Es klappt, der Deutz fängt sich, beschleunigt sogar etwas. Im Rückspiegel sehe ich die tiefe von uns gezogene Spur und im selben Moment drehen die Räder erneut durch. Vollgas, aber wir stehen, wir graben uns nur tiefer ein. Ich trete die Kupplung. „Dreckskarren, jetzt ist auch noch die Kupplung hin“, schreie ich.

„Ich hab die Kupplung ganz durchgetreten und dennoch gräbt er sich hinten ein, die Kupplung trennt nicht. Scheißding.“ Ich haue den Gang raus, Leerlaufstellung. Aber es geht tiefer in den Schlamm. Die Kupplung ist in Ordnung. Die Räder stehen still. Man hört nur ein leises Gurgeln und Schmatzen und langsam, Zentimeter für Zentimeter, versinkt unser Deutz im Sumpf.

Wir können nichts machen, nur zusehen. Ich reise die Schaufel aus der Halterung, will die Sandbleche unterlegen, aber jede Aktion führt nur dazu, das der Deutz schneller im Salzsee verschwindet. Panik und Ohnmacht mischt sich.

„Schnell, ausräumen, wir müssen ihn leicht machen.“ Gleichzeitig lasse ich die Luft aus den Reifen, wir haben dummerweise noch vollen Straßendruck drauf. Aber zum Glück fahre ich ohne Ventile, nur mit metallenen Verschlusskappen, die auch gut abdichten, aber ein schnelles Ablassen und Aufpumpen ermöglichen.

Und unser größtes Glück ist, dass die Vorderachse nicht eingebrochen ist. Als der Fahrzeugrahmen die Seeoberfläche erreicht stoppt der Sinkvorgang. Die Hinterachse ist komplett weg.

Die Sonne versinkt am Horizont und kurze Zeit später ist es stockdunkel. Ich stelle den Wagenheber auf ein Sandblech und versuche ihn unter den Rahmen zu schieben, es klappt, doch sobald ich Druck aufbaue, verschwindet mein Sandblech im Morast. Der Deutz bewegt sich keinen Millimeter.

Ein weiteres Problem stellt sich ein. Wir haben kein Wasser mehr. Die Tanks waren fast leer, wir wollten in der Zebra-Bar in Saint-Loius auffüllen und jetzt durch die schräge Lage fördert die Pumpe nur Luft. Mit einer Suppenkelle schöpfen wir Wasser zur Reinigungsöffnung heraus. Zum Waschen ist uns das Wasser zu kostbar, also kriechen wir lehmverkrustet in die Schlafsäcke und schlafen neben dem Fahrzeug. Abendessen ist gestrichen. Hunger haben wir eh nicht.

Ich kann nicht schlafen, weis nicht wie ich den Deutz bergen soll, wenn die Sonne wieder aufgeht.

Kämen jetzt die beiden Radfahrer vorbei, die wir in der Westsahara getroffen haben und würden ihre Fahrräder gegen unseren Deutz tauschen wollen, ich würde es machen.

Was machen wir hier überhaupt? Warum tun wir uns dass an? Das ganze Projekt steht in Frage. Sollten wir nicht besser irgendwo ein Haus in den Bergen kaufen und ein tolles Leben auf der Terrasse führen?

„Was hast du vor?“, will Sabine wissen. „Ich stehe auf und vergrab mein Reserverad. Als Anker, dann ziehe ich uns mit der Seilwinde raus.“

Mitten in der Nacht schaufele ich ein Loch, zirka 40 Meter vor unserem Deutz, in den pappigen Lehm.

Lieber das Reserverad hier im Sumpf versenken und zurücklassen als unsere Pistenkuh.

Nach zwei Stunden krieche ich wieder in den Schlafsack.

Am nächsten Morgen kommen kurz nach Sonnenaufgang drei Nomaden zu uns. Sie haben ihre Zelte ganz in der Nähe am Strand.

Ihr Lösungsvorschlag: Wir bauen aus alten Ölkanister Schlitten in denen wir Sand von der Düne hohlen und unter dem Deutz verfestigen. Ich halte davon nicht viel, habe aber keinen besseren Vorschlag. Es wird unerträglich heiß, starker Wind setzt ein und hüllt uns in Staub.

Die drei Burschen sind zäh. Den ganzen Tag schaffen sie Sand herbei. Ich weis nicht wie viele Kubikmeter wir in dem See verfüllen. Gegen Mittag dann die erste Hoffnung, dass Sandblech drückt sich nicht mehr so tief in den Morast, sondern der Deutz hebt sich. Also weiter Sand herbei schaffen.

Am dritten Tag ist es dann soweit. Ich versenke das Reserverad und versuche mit der Winde zu ziehen. Aber ich ziehe das Rad mit Leichtigkeit aus dem Schlamm, ohne das der Wagen sich auch nur einen Zentimeter bewegt, obwohl er jetzt schon auf Sand steht. Der Trick, dass Reserverad zu vergraben, funktioniert wohl nur theoretisch in Büchern.

Also dann erster Gang rein und Gas. Zuvor wurden noch Sträucher und Sandbleche unter die Räder gelegt. Es klappt, die Freude ist unermesslich. Mit 0,8 bar Druck in den Reifen fahren wir ein paar hundert Meter über den See auf eine befestigte Piste. Jetzt nur noch Reifen aufpumpen, unser Gerümpel über den See tragen und dann geht’s weiter.

Natürlich noch die Nomaden bezahlen. Eins war von Beginn an klar, wir wollen nicht kleinlich sein. Sie sollen sich zumindest ebenso unermesslich freuen wie wir, als der Deutz sich aus dem Loch wühlte, auch auf die Gefahr, dass wir den Preis für Nachfolger in die Höhe treiben. Wir zahlen ein mauretanischen Tageslohn (ca. 3,- Euro) als Stundenlohn. Als ich dem Ältesten die Summe übergebe ist die Freude der Drei groß. Und die Freude steigt ins unermessliche als sie erfahren, dass jeder von ihnen die Summe bekommt. Insgesamt gehen 120,- Euro in ihre Taschen. Ohne ihre Hilfe hätten wir den Deutz nie befreit bekommen und unser Reserverad haben wir ja auch behalten. Zum Schluss versichern sie mir, sie hätten auch ohne Bezahlung geholfen, das gebietet die Gastfreundschaft. Ich glaube es ihnen.

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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