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Transafrika

Marokko 2007

Wieder in Marokko, leider ist noch Ramadan und die orientalischen Straßen-Cafes haben geschlossen. Also müssen wir noch drei Tage auf den leckeren Minzetee und Milchkaffee verzichten, zumindest bei Tageslicht.
Erinnerungen an unsere erste Marokkoreise 1991 werden wach. Aber was hat sich das alles verändert, wir kommen aus dem Staunen nicht raus. Neue riesige Supermärkte, neue Autobahnen, überall Mobilfunktürme, Teerstraßen und Stromleitungen in die Dörfer, neue Autos, Mc-Donalds und Jeans statt Jelabah. Und selbst an die Verkehrsordnung wird sich (öfter) gehalten.

Ja damals, da war die Fahrt über den Hohen Atlas noch Abenteuer, über schmierige Lehmpisten und Flussdurchfahrten über Imichil in die Todrahschlucht. Kein Fast-Food und keine Supermärkte. Jeder fuhr mit dem Auto, meistens ein alter R4, so, wie er früher mit dem Esel geritten war.

Die Straße der Kasbah im Süden war einspurig geteert und wenn einem ein alter roter Bedford –Lkw entgegen kam, wich jeder mit einem Rad auf den staubigen Straßenrand aus.
In Mhamid gab es 1991 einen Campingplatz, heute sind es zwölf. Überhaupt wundern wir uns über die vielen Hotels und Restaurants. Damals gab es einen kleinen Laden, in dem es einen Sack Reis, einen Sack Mehl, fünf Hühner, zehn Brote und einige Sardinendosen zu kaufen gab. Ach ja, das 200 Liter Dieselfass unter der Theke habe ich vergessen. Aber das war im letzten Jahrhundert.

Wir freuen uns für die Marokkaner, dass immer mehr von ihnen ein deutlich besseres (zumindest materiell) Leben haben. Und dann freuen wir uns noch mehr. Es ist doch noch was aus dem letzten Jahrhundert geblieben: Das Lachen und die Freundlichkeit der Menschen.
Überall winkt und lacht man uns zu, egal ob jung oder alt.
Am späten Nachmittag kommt ein Mann an unserem Nachtplatz vorbei und schenkt uns zwei Äpfel. Einfach so. Ich habe Mühe ihn zu überreden, wenigstens eine Hand voll Bonbons für seine Kinder anzunehmen. Später kommt sein kleiner Sohn vorbei und schenkt uns süßes Honiggebäck.
Bettelnde Kinder gibt es natürlich immer noch, aber deutlich weniger als vor 15 Jahren. Dafür ist die Polizeipräsenz auf der Straße angestiegen. Hatten wir auf der ganzen Marokkoreise 1991 gerade mal zwei Checkpoints und die waren auch noch korrupt, haben wir heute 2-3 täglich, aber alle völlig korrekt.
Und sauberer geworden ist es auch, weniger Müll liegt in den Gassen und Straßengräben, oder liegt es daran, dass wir noch mit indischen, statt irdischen Maßstäben messen?

Hochzeit
In der Ferne hören wir am Abend Gesang und Musik.
„Hört sich an wie ein Straßenfest, komm wir gehen mal gucken“, sage ich zu Sabine.
Tatsächlich der ganze kleine Ort ist auf den Beinen und es wird gesungen und getanzt.
„Drei Tage dauert das Fest“, so erklärt mir einer der Jugendlichen im Dorf. „Heute fährt der Bräutigam ins Dorf seiner zukünftigen Frau und holt die Braut ab.“
„Die Braut wird immer vom Mann abgeholt?“, will ich wissen. „Nein, das ist von Stamm zu Stamm verschieden. Bei uns geht der Mann und holt die Braut. In anderen Stämmen muss die Braut zum Mann gebracht werden.“
„Also sehen wir die Braut heute nicht?“ „Nein, erst morgen.“
Ich erinnere mich an eine Hochzeit vor sechs Jahren in Merzouga. Damals hatte ich ebenso Beifall geklatscht und mit den Männern getanzt, bis zu dem Punkt wo ich die Braut sah. Ein vielleicht vierzehnjähriges Mädchen wurde zu dem fast 50zig jährigen Bräutigam geführt. Damals hatte ich keine Lust mehr zu klatschen. So sind wir diesmal ganz froh, keine Einzelheiten zu erfahren.
Vier Tage später in Errachidia sehen wir auch die Konsequenz aus dieser Tradition.
Wir treffen Ismael, einen 16jährigen Jungen aus Meski. Ihn kennen wir seit ein paar Jahren, aber wo ist das Lachen und seine Fröhlichkeit?
„Mein Vater ist vor drei Monaten gestorben.“ Ich denke sofort an einen Autounfall oder dergleichen. „Nein, mein Vater war schon alt, er war 81 Jahre alt.“ Ich sehe ihn fragend an.
„Meine Mutter war seine zweite Frau, seine erste Frau war verstorben.“
„Aber mit 81 Jahren hat er doch ein langes Leben gehabt“, versuche ich ihn zu trösten.
„Es geht nicht um meinen Vater, warum ich so traurig bin.“ „Sondern?“ „Um mich. Ich musste die Schule verlassen, denn ich bin jetzt der Älteste in meiner Familie und jetzt muss ich für meine drei kleinen Geschwister und für meine Mutter sorgen, dabei hätte ich studieren können. Und jetzt kann ich Ziegen hüten und Karotten pflanzen. Was soll ich machen?“

Merzouga

Mittlerweile gibt es eine neue Teerstraße nach Merzouga. Früher war in Erfoud Schluss mit dem Asphalt.
Wir ignorieren die neue Straße und fahren wie immer entlag der Sanddünen nach Merzouga.
Das Wetter ist schlecht. Staub hängt in der Luft und der Himmel ist gelblich grau. Kein gutes Fotolicht, Schade.
Unser Freund Hassan freut sich uns zu sehen und noch mehr über die 24 Bierdosen die ich als Gastgeschenk, neben einem großen Glas Nutella für die Kinder und eine Flasche Parfüm für Aischa aus dem Stauraum hole. Hassan kocht erst einmal Tee. Viele Spanier kommen in den letzten Jahren mit ihren Geländewagen nach Marokko, aber kaum noch Deutsche, erzählt er uns. Seine Geschäfte laufen gut. Er hat einen großen Souvenirladen, ein Restaurant und Hotel mit 14 Zimmer und Pool und einen neuen Mittelklasse Wagen in der Garage. Wir freuen uns für ihn. Verdient hat er es, faul ist er nicht. Vor 16 Jahren als wir ihn kennen lernten fuhr er mit seinem Mofa Touristen in den Dünen suchen, um ihnen auf einer Decke seine Souvenirs anzubieten. Zwei Jahre später hatte er ein kleines Lehmhaus mit Teppichen und Souvenirs. Später ein kleines Restaurant daneben und wieder einige Jahre später ein Hotel, was jedes Jahr vergrößert wurde.
Aischa hat Abendessen zubereitet, eine leckere Tajine und anschließend schlafen wir im Deutz vor seinem Haus.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns und Hassan verlangt 20,- Euro für das Abendessen. Nein kein Scherz: „Weist du, Kartoffel und Karotten jetzt viel teuer in Maroc und Aischa hat gemacht viel Fleisch in Tajine. In Deutschland wenn du isst Tajine, du musst zahlen mehr als 20 Euro.“ Wir zahlen.

Sabine fragt mich, ob ich an meinen Memoarien schreibe und ob es dafür nicht noch etwas früh ist, also Schluss jetzt mit den Rückblicken, ab in die Gegenwart.

Auf der höchsten Düne
Es gehört für jeden Marokkoreisenden zum Pflichtprogramm: Bei Sonnenuntergang auf die höchste Düne des Erg Chebbi zu steigen. „Verkauft“ wird den Touristen aber immer die falsche Düne, nämlich die, die am höchsten aussieht und wo der Fußmarsch relativ kurz ist. Aber auch das ist schon für viele anstrengend genug und der Blick dennoch wunderschön. Auch wenn man dort nie alleine ist.
Wir wollen auf die höchste Düne und dort sogar übernachten.
Also packen wir unsere Rücksäcke mit Isomatte, Schlafsack und Wasserflaschen und machen uns auf den Weg. Unser Zelt lassen wir im Deutz, unnötiges Gewicht und wir wollen ja unter dem Sternenhimmel im Sand schlafen. Aber erst mal müssen wir den Erg queren. Es ist anstrengend, viel anstrengender als gedacht oder anders herum, unsere Kondition ist schlechter als angenommen, aber nach drei Stunden sind wir am höchsten Punkt und warten auf den Sonnenuntergang. Leider verabschiedet sich die Sonne ganz unspektakulär im Dunststreifen am Horizont.

Wir rollen die Isomatten aus und kriechen in die Schlafsäcke.
Boah, ist der Sand hart, trotz Isomatte. Früher war ich oft nur mit Schlafsack… okay, keine Memoarien.
Wind setzt ein, wird heftiger und wird zum Sturm. Sand deckt uns ein. Jeder kriecht tief in seinen Schlafsack, aber dennoch kommt immer wieder eine Ladung Sand zur Luftöffnung herein. Die Nacht scheint endlos, mit tut jeder Knochen weh, man meint gar nicht, wie viel Knochen in so einem Menschen drin sind.
Am Horizont wird ein grauer Streifen sichtbar und die Sonne geht auf. Wir kriechen aus unserem Sandhaufen und sind uns einig. „Eigentlich war das nee tolle Nacht, so was sollten wir öfter machen.“ Und jetzt geht es mit Muskelkater in den Waden zurück.

Glück oder Pech?
Wir sind entlang der algerischen Grenze unterwegs, von Taouz nach Mhamid.
Vor ein paar Jahren waren wir hier völlig alleine unterwegs, heute trifft man täglich auf 2 –3 Gruppen Geländewagenfahrer. Die früheren Nomaden sind nicht dumm und haben an ihre kleinen Lehmhüttchen Coca-Cola-Schilder gemalt und sind nun Restaurantbesitzer. Viele kleine Ich-AGs, wie sie sich Hartz in Deutschland gewünscht hätte.
Wir sind langsam unterwegs, steigen auf viele der Tafelberge und fotografieren. Am dritten Tag begegnen wir einem deutschen Unimog und einem Bremach. Gemeinsam mit Marc, Veronice und Jürgen suchen wir einen Übernachtungsplatz in den Dünen.

Wir haben noch nicht richtig eingeparkt, da werden wir auch schon von zwei Cross-Motorrädern in eine Staubwolke gehüllt. „Unser Freund ist gerade gestürzt, direkt da vorne, könnt ihr uns helfen?“
„Ich bin Krankenschwester“, sagt Veronice. Marc holt ihren First Aid Koffer und Jürgen startet den Bremach. Ich springe auf die Trittbretter, halte mich am Dachgepäckträger fest und los geht’s.
Der Verunglückte ist ansprechbar, kann sich zwar an den Sturz nicht erinnern, aber kennt noch seinen Namen.
Ronald kann zwar nicht aufstehen, seine Hüfte schmerzt und er kann seinen rechten Arm nur unter starken Schmerzen eingeschränkt bewegen, aber er ist guter Dinge. „Morgen repariere ich meinen Bock und fahre ins Krankenhaus.“ Aber keiner seiner Kuppel und wir erst recht nicht, glauben daran.
Ganz in der Nähe steht eine Lehmhütte mit einem Cola-Schild. Veronice gibt ihm ein starkes Schmerzmittel, damit er den Transport dorthin übersteht.
In der Hütte lässt sich für die Nacht ein Zimmer mieten und seine fünf Freunde bauen draußen ihre Zelte auf.
Am nächsten Morgen ist alles viel schlimmer. Ronald kann sein rechtes Bein und seinen rechten Arm so gut wie nicht mehr bewegen. Die Schmerzen sind viel schlimmer. Ein Blick auf die Karte zeigt, der nächste Arzt wäre in Zagora, aber das sind 150 Kilometer holprige Piste. Handynetz gibt es hier draußen natürlich nicht, aber wen sollte man auch anrufen.
Zwei seiner Freunde machen sich mit dem Restaurantbetreiber auf den Weg, einen Geländewagen für den Transport zu organisieren, die Anderen reparieren seine BMW und schaffen es wirklich, sie fahrbereit zu machen.
Der Geländewagenfahrer erkennt die Situation und verlangt 400,- Euro für die Fahrt zum Arzt. In der Gruppe kommt Streit auf. Einige wollen über den Preis verhandeln, andere befürchten, unnötig Zeit zu verlieren und in Anbetracht der Situation spiele Geld keine Rolle.
Zagora liegt nicht auf unserem Weg, aber wir bieten an, für 200,- Euro die 300 km Piste zu fahren, falls der Nomade mit seinem Landrover nicht fährt. So haben sie zumindest eine bessere Position beim Preisschachern.
Roland möchte lieber von uns gefahren werden als vom klapprigen Noamdenlandy.
Dann mal los. Brabbi fährt auf der instandgesetzten BMW hinter uns her und Peter auf seiner BMW HP2 begleitet ihn. Die anderen drei Freunde warten draußen in der Wüste, bis wir zurück sind. Fünf Stunden brauchen wir bis Zagora. Im Krankenhaus fehlt es an vielem, aber es gibt ein altes Röntgengerät. Die Ärztin will nicht glauben, dass wir Ronald sitzend mit einem Lastwagen hergefahren haben. Ab jetzt darf er nur noch liegen. Von seinem Becken ist ein Stück abgebrochen und es besteht die Gefahr, dass dieses Stück die Wirbelsäule oder die Blase beschädigt. Noch in der Nacht wird Ronald mit dem Ambulanzwagen nach Quarzazate transportiert. Doch zuvor müssen 60,- Euro für Diesel gezahlt werden, denn der Krankenwagen hat keinen Sprit und das Krankenhaus kein Geld.
Wir übernachten in Zagora. Noch in der Nacht telefoniert Peter mit dem ADAC. Dort läuft alles schnell und perfekt. Sofort wird der Rückflug nach Deutschland in die Wege geleitet, die Übernahme aller Kosten zugesichert und der Rücktransport des Motorrades organisiert, das wir auf dem Campingplatz stehen lassen.
Am nächsten Tag fährt Peter nach Quarzazate, wir nehmen Brabbi mit zurück in die Wüste, wo seine Freunde seit zwei Tagen warten.
Am nächsten Tag fahren sie gemeinsam nach Quarzazate und wir setzten unsere Reise Richtung Süden fort.

Wir sind ca. 100 km vor Guelmim und kaum zu glauben, aber da kommt der Unimog mit Marc und Veronice angefahren.
Sie waren in den vergangenen Tagen in Quarzazate und haben nebenbei auch Ronald im Krankenhaus besucht. Die Zustände im Krankenhaus sind katastrophal. Zehnmannzimmer und bei jedem Krankenbett bleibt die lautstarke Verwandtschaft bis nachts um eins. Klar, muss auch so sein, denn die Verwandtschaft hat für die Versorgung der Verletzten zu sorgen.
Die medizinische Betreuung sieht so aus, dass der Arzt fragt, welche Medikamente Roland haben möchte und er diese dann besorgt. Und das in Marokko.
Aber jetzt kommt das Härteste:
Während des Krankentransportes von Zagora nach Quarzazate mit dem Krankenwagen, der vorher noch Spritgeld kassieren musste, erlitt Roland eine weitere Verletzung.
Roland wurde auf ärztliche Anordnung liegend transportiert. Der Fahrer hatte es eilig und gab Gas. In einer Kurve rutschte der Verletzte von der Liege und krachte auf den Boden des Ambulanzfahrzeuges. Fahrer und Beifahrer bekamen davon natürlich nichts mit, den der Kassettenrecorder spielte in voller Lautstärke. Ein Krankenpfleger fährt üblicherweise in dem Ambulanzwagen nicht mit, das ist Aufgabe der Verwandten.
Auch das Klopfen von Roland wurde nicht gehört. Erst als dieser mit der Hand die Zwischenscheibe einschlug und sich dabei weitere Schnittverletzungen zuzog, merkte der Fahrer, das sein Patient von der Pritsche geflogen war und reduzierte das Tempo auf angemessenes Maß.

El Hammdulilah (Gott sei es gedankt)

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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