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Transafrika

Mali 2007

Gibt’s doch gar nicht
lkw-maliWir sind die ersten Kilometer in Mali unterwegs. Einiges hat sich geändert. Das Warenangebot ist vielseitiger. Das liegt wohl vor allem daran, dass der Warentransport besser funktioniert als in Guinea, wo auf den Straßen fast kein Verkehr stattfindet. Es wird deutlich mehr Fleisch gegessen, überall sieht man die geschlachteten Tiere bei den Straßenmetzgern in der Sonne hängen, bzw. direkt auf dem Grill liegen. Die Grillöfen sind etwas anders gebaut. Es ist ein Lehmofen, in dem durch das Brennloch, das aus einer alten Autofelge besteht, dicke Baumstämme hineingeschoben werden. Oben auf einer mit Öl bestrichenen Eisenplatte wird das Fleisch gebraten. Auch die Ortschaften ändern sich. In Guinea standen die Hütten noch alle dicht beisammen. Hier in Mali ist jede Familie etwas mehr für sich. Einen Ansatz von Privatsphäre scheint es hier zu geben und es gibt in vielen Dörfern Strom, der mit Dieselgeneratoren erzeugt wird. In Guinea haben wir Städte durchfahren, in denen fast 50.000 Menschen leben, ohne jegliche Infrastruktur.

bus in mali

Die Polizeikontrollen sind korrekt. Meist bleibt der Polizist im Schatten sitzen und winkt freundlich. Und hinter Bamako auf dem Weg nach Segou dann doch. Ich winke freundlich dem Polizisten in seiner Tarnuniform zu und der winkt mich rechts ran. Der Deutz steht noch nicht richtig und schon reist der Polizist die Beifahrertür auf. So was kann ich leiden. Doch dann hält er uns ein Tablett mit einer Kanne Tee und einigen Gläsern hin. „Willkommen in Mali, ich möchte sie gerne zum Tee einladen, bitte nehmen sie die Einladung an, es wäre eine große Ehre für mich.“
verkehr in mali“Das gibt’s doch gar nicht, die Polizei will nicht meine Papiere und abkassieren, sondern lädt uns zum Tee ein?“
„Ja, die Zeiten ändern sich,“ lacht er.
„Darf ich das fotografieren?“, frage ich mehr zum Scherz, als das es ernst gemeint wäre.
„Kein Problem.“
Ich hole den Fotoaperrat aus der Tasche und mache ein Foto von dem Polizisten mit seiner Teekanne.
Zum Abschied fragt er: „Haben sie ein kleines Geschenk für mich, mein Sold reicht nicht aus für meine Familie und mich.“
„Genau so etwas habe ich mir schon gedacht“, sagt Sabine.
„Na klar will der was haben, aber die Idee ist doch klasse und Cleverness muss belohnt werden, das haben wir doch bisher immer gemacht. Komm, dem müssen wir was geben.“
Ich greife in die Tüte mit Obst, die von unserem Einkauf auf dem Markt noch vorne liegt und reiche ihm zwei Bananen.
„Nein Danke, Bananen und Essen haben wir genug. Nach Dienstschluss arbeite ich noch auf dem Feld. Ein T-Shirt das wäre toll.“
„Hmm, okay.“ Eines meiner alten T-Shirts wechselt den Besitzer.
Beim Abschied winkt er uns freundlich hinterher.
„Das ist doch korrekt. Wir sind froh. Er ist froh. Wir behalten die Polizei in guter Erinnerung und er hat ein T-Shirt, das er nie bekommen hätte, wenn er die Nummer mit fehlenden Genehmigungen und Stempel abgezogen hätte“, sage ich auf der Fahrt zu Sabine.
„Ja, der war clever.“
Am Abend lade ich die Bilder auf unseren Laptop.
„Sabine, guck dir das an, der ist viel cleverer als wir dachten. Die Uniform ist ein Fake, das war kein echter Polizist. Auf der Uniform ist kein einziges Abzeichen oder Rangzeichen.“
„Das gibt’s doch gar nicht.“
„Doch, der ist so clever, der hätte zwei T-Shirts verdient.“

polizei in mali

Steinewerfer
Der Kleine steht am Straßenrand und statt uns freundlich zuzuwinken, wie es alle Kinder machen, nimmt er einen daumengroßen Stein und wirft in gegen unsere Pistenkuh. Nun macht das unserer Pistenkuh nicht viel aus, wenn mal ein Stein gegen das Außenblech knallt, aber es ist eine schöne Gelegenheit, Oberlehrer zu spielen.
steinewerferInzwischen haben wir etwas Erfahrung mit solchen Kindern und wissen, das ein sofortiges Wenden nicht viel bringt, die Kinder rennen, sobald sie die Bremslichter sehen, davon. Also erst mal ein paar hundert Meter weiter, dann heimlich wenden und zurück. Das ist dann der erste Teil meiner Rache, wenn ich das Entsetzen in den weit aufgerissenen Kinderaugen sehe, wenn die Pistenkuh in einer riesigen Staubwolke die Straße verlässt und quer durch den Straßengraben direkt auf sie zu fährt. Vollbremsung, raus springen und hinter dem laut schreienden Bengel her, ist eins. Die Wenigsten haben eine Chance, zu entkommen. Meist werde ich ihnen habhaft, oder kann zumindest ein Pfand in Form eines Fahrrades, Schulranzen oder Schuhe im Wettlauf erkämpfen, einfach alles, was die Frechdachse abwerfen, um schneller zu sein.
Auch diesmal konnte ich den vielleicht achtjährigen am Kragen packen und zur Hütte seiner Eltern zerren. Der Kleine schreit, als ging es zum Opferplatz, aber die Lektion muss er nun mal lernen, genau wie vor ihm schon die Bengel in Marokko, Mauretanien und Pakistan. Kein Mitleid. In der Regel verlange ich dann den Vater zu sprechen und schildere, wie der Stein um haaresbreite die Windschutzscheibe verfehlte, was enorme Kosten verursacht hätte und diesmal unter der Vorsehung Allahs zum Glück nichts passiert ist.
teeDer Vater soll seinem Sohn klar machen, das er in Zukunft keine Steine auf violette Fahrzeuge wirft, denn das violette Fahrzeug könnte meines sein. In der Regel folgt dann die obligatorische Einladung zum Tee, die wir auch annehmen um die Hütte anschließend in Freundschaft zu verlassen.
Doch diesmal ist es anders. Der Kleine, in Lumpen gekleidet, schreit wie am Spieß. Ich zerre ihn am Kragen zu der einzigen Hütte die weit und breit zu sehen ist und dort sehen wir das blanke Elend.
In einer Ecke stehen ein paar Plastikbecher mit Hirsebreiresten, in der anderen Ecke liegt ein weißer Jutesack mit Getreide, vor der Hütte qualmt ein kleines Feuerchen, daneben steht ein 20-Liter Kanister mit Wasser. hirseVerstreut liegen ein alter Holzmörser und der keulenförmige Stampfstößel, mit dem üblicherweise Hirse oder Maniok zerkleinert wird. Sonst gibt es hier nichts. Die gesamten Habseligkeiten passten in eine Plastiktüte, keine Kleidung, kein Bett, keine Lebensmittelvorräte außer dem erwähnten Sack. Der Junge spricht natürlich kein Französisch, geht ja auch nicht zur Schule und ist hier völlig allein.
Keine Ahnung, wo seine Eltern, Geschwister oder Verwandte sind. Vielleicht im Urlaub oder auf Schicht. Das Ganze macht, genau wie der Junge, einen völlig verwahrlosten Eindruck. Erstmalig fällt die Strafpredigt aus und es gibt ein paar neue Klamotten und eine Tüte Zucker für den Hirsebrei. Auch so wird er wohl nicht mehr auf violette Fahrzeuge Steine schleudern.

Pistenkuh trifft Jacques Chirac
shongo maliWir sind in Shongo, jenem Dorf im Dogonland, wo wir vor drei Jahren versucht haben, den Dorfbrunnen zu reparieren und anschließend mit dem Dorflehrer eine Erwachsenenschulung in Basishygiene durchführten.
Die Freude, uns wieder zu sehen hält sich in Grenzen, aber man erinnert sich, vor allem an die Pistenkuh. Fast alle verbinden uns mit der Aktion der Wasserpumpe, keiner erinnert sich an die Schulung.
frauen in maliWir machen eine kleine Runde durch das Dorf. So viele neue Kinder, wo kommen die alle her? Nicht auszudenken, wenn derjenige kommt, der allen sagt, „Seid fruchtbar und mehret euch.“
In dem Dorf leben fünf Familien, aus denen sich inzwischen die Dorfstärke von 3000 Menschen entwickelt hat. Das kann man schon Bevölkerungsexplosion nennen. Das Dorf hat sich entwickelt, die Straße wurde neu gemacht, ein neues Schulgebäude errichtet und ein Wasserleitungsnetz verlegt, so dass es im Dorf nun sechs Entnahmestellen gibt. Das Wasser wird aus einem Tiefbrunnen mit Hilfe einer Solaranlage gefördert. Das Dorf hat ein neues Hotel und Campment gebaut. Der Arzt kommt täglich für eine Stunde und gibt Medikamente aus. Die Kinder werden zwar nicht gewaschen, aber geimpft und die Kindersterblichkeit hat sich deutlich verringert. Wir freuen uns, hier tut sich was und hier gibt es scheinbar ein Projekt, wo Entwicklungshilfe wirklich was bringt. Dass die Preise deutlich überhöht sind, nehmen wir gerne hin, es ist ja für einen guten Zweck. Was sich in keiner Form geändert hat, sind die verwahrlosten Kinder. Viele haben unbehandelte, offen gekratzte Wunden, sind Unter- oder mangelernährt und in Lumpen gekleidet. Das Word „Cadeau“ und „donnez moi“ kann schon jedes zweijährige brabbeln.
Unser Freund, der Lehrer hat inzwischen sieben Kinder und auch diese sehen recht ungepflegt aus. Sollte es auch hier so sein, wie uns ein Entwicklungshelfer von anderen Orten berichtete, dass der durch Entwicklungshilfe generierte „Reichtum“ dazu verwendet wird, eine zweite oder dritte Frau zu heiraten und noch mehr Kinder zu zeugen?
Ich frage den Lehrer: „Wenn heute der Boden schon nicht ausreicht, um alle Kinder zu ernähren, durch Impfungen, sauberes Wasser, subventionierte Medikamente die Risiken sinken, ist das nicht die Zeit, um mit Familienplanung zu beginnen, sonst gibt es doch in der Zukunft ein großes Problem, oder?“
„Nein, die vielen Kinder sind kein Problem, denn es bleiben ja nicht alle hier, viele von denen werden nach Mopti oder Bamako gehen, oder nach Europa. Das Problem sind nicht wir, es ist der neue französische Präsident, der die Einwanderungsbedingungen verschärft hat und Europa, das uns nicht will und uns keine Chance gibt.“
Wir haben keine Lust zu diskutieren, ich merke wie in mir Ärger über solche Dummheit aufsteigt und will wieder fahren.
„Warum bleibt ihr nicht bis morgen? Morgen kommt der französische Ex-Präsident Jacques Chirac zu Besuch.“
„Der Präsident ist zwar nicht wichtig für uns, aber wenn er schon wegen uns kommt, bleiben wir natürlich.“

kind verwahrlost

Am Abend treffen Musik- und Folkloregruppen ein, die am nächsten Tag dem Ex-Präsidenten ihre Darbietungen vorführen sollen. Gegen 20 Uhr beginnt die Generalprobe. Es wird getrommelt und gesungen. Die gelungene Generalprobe wird bis morgens früh um halb vier mit Palmwein und Hirsebier gefeiert. Um 9 Uhr wird Jacques Chirac erwartet, nicht viel Schlaf für die angeheiterte Truppe.

Wir sind zeitig auf, wollen nichts verpassen. Die Schulklassen stellen sich bereits entlang der Zufahrt auf und winken mit Fähnchen in den Landesfarben Malis und Frankreichs. Polizei und Militärfahrzeuge kommen und fahren. Einige der Tänzer der Folkloretruppen sind besoffen und schwanken trommelnd durch die Gassen. Ein Tankwagen der Armee wässert den Vorführplatz und die Straße, damit nichts staubt. Die neuen Bäumchen, die durch ein Entwicklungshilfeprojekt angepflanzt wurden, sind alle vertrocknet, weil man sie nicht gegossen hat. Sie werden ausgerissen, von den nahe gelegenen Büschen werden mit der Machete frische Äste abgeschlagen und in den Boden gesteckt. Aus den umliegenden Dörfern kommen immer mehr Menschen mit Fahrrädern oder Mofas. Um 10 Uhr soll der Präsident kommen. Die Zeit vergeht. Um 11 kommt er ganz bestimmt. Um 12 Uhr werden weitere Fähnchen aufgestellt, der Platz staubt bereits wieder. Die zwei Solarzellen am Brunnen, die Kinder mit Steinen vor Wochen kaputtgeworfen haben, werden durch zwei vom Campment abgebaute ersetzt. Um 13 Uhr bringt ein Chauffeur in einer weißen Mercedeslimousine eine gut gekleidete Frau mit einem Baby im Arm.
Um 14 Uhr donnern drei Salutschüsse durchs Tal und die Schulklassen, die seit fünf Stunden in der Sonne Spalier stehen, schwenken wild die Fähnchen. Der Ex-Präsident kommt. 14 große Geländewagen, zuvor Militär- und Polizeijeeps und ein klimatisierter Kleinbus mit weißen Journalisten. Der Ex-Präsident hat keine Zeit, daher wird auf die Folklore verzichtet. Der Tross stoppt, Kamerateams und Tonassistenten vorweg, dann ein Heer von Fotografen und schließlich Jacques Chirac, umringt von Bodygards mit Sonnenbrille in dunklen Anzügen und Knopf im Ohr. Es wird Salut geschossen, getrommelt, gepfiffen und jede Menge Hände geschüttelt.
jacques chirac“Booh, ist der alt geworden.“ Der Ex-Präsident ist tatterig, lächelt in die Runde und winkt, ohne jemanden zu fokussieren. Ihm gefällt es sichtlich, umjubelt zu werden, was anderes bekommt er scheinbar gar nicht mit. Man legt ihm das einzig gewaschene Kind in den Arm und nach Protokoll muss er es abküssen, jenes Baby, das vor einer Stunde extra gebracht wurde.jacques chirac mali
Geschenke werden Chirac überreicht. Zum Beispiel ein Häuptlingsumhang und ein fetter, frisch gewaschener Hammelbock. „Wie will er den abtransportieren?“, frage ich mich. Auf seinem dunkel verglastem Geländewagen habe ich keinen Dachgepäckträger gesehen. Aber alle Geschenke werden an seine Mitarbeiter weitergereicht, die dafür sorgen das der ganze Plunder aus dem Weg kommt. Keine Zeit, noch einmal in die Menge winken und wieder rein ins Auto. Es geht durchs Dorf in Richtung Opferplatz. Die Fotografen rennen voraus oder neben dem Wagen des Präsidenten entlang. „Der eine hat ne´ kleinere Kamera als ich, dann kann ich da auch mit spielen“, sage ich zu Sabine und renne los.
„Allemagne – Pistenkuh-news“, rufe ich dem einen Bodygard zu, der mich aufhalten will und bin mit in der Menge der Fotografen. Jetzt ist nichts mehr heilig. Frauen und alte Männer werden ohne zu fragen von den Journalisten gefilmt und fotografiert. Über heilige Felsen wird hinweggerannt und auf Kultplätzen herumgetrampelt. Alles wird toleriert, alles ist erlaubt. Die letzten Meter müssen zu Fuß gegangen werden, aber Jacques hat keine Lust und macht auch einen geschwächten Eindruck, also wird auch diese Aktion abgebrochen und der Ex-Präsident bekommt erklärt was er verpasst. Dafür gibt’s eine kleine Rede des Präsidenten. Ich verstehe nur, das er den Gastgebern viel Honig überall hin schmiert, wie: „Bedeutende Kultur, alte Tradition, frühste Zivilisation.“
Ich habe mir eine gute Fotoposition errannt und mache ein paar Bilder aus nächster Nähe. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei, der ganze Konvoi, der jede kurdische Hochzeit in den Schatten stellt, verlässt Shongo, das nächste Ziel wartet. Als sich der Staub gelegt hat, fahren auch wir, ohne ein Baby geküsst zu haben. Der zurück gelassene Hammel blökt noch hinter uns her.

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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