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Transafrika

Guinea 2007

Guinea, das afrikanische Albanien

Lange Zeit war Guinea nicht zu bereisen. Touristen-Visa wurden nicht erteilt und das Land war vom Rest der Welt isoliert. Alle Landesgrenzen waren geschlossen. Begonnen hatte das Desaster mit der Unabhängigkeitserklärung von Frankreich. Während alle anderen ehemaligen französischen Kolonien sich in einer Communauté zusammenschließen und sich weiter der Behütung Frankreichs unterstellen, lehnt der damalige Präsident Sekou Touré, dies mit dem Satz: „Lieber Freiheit in Armut als Sklaverei in Reichtum“ ab.
Der damalige französische Präsident war darüber so verärgert, das er nach dieser Rede seinen Staatsbesuch in Guinea sofort abbrach. Über Nacht wurden die 7.000 im Lande befindlichen Franzosen nach Hause berufen. Technische Einrichtungen wurden vorher abgebaut oder sabotiert. Verwaltungsdokumente wurden vernichtet und die wirtschaftlichen Beziehungen annulliert. Das Land gerät immer mehr ins Abseits und findet schließlich im sozialistischen Lager Aufnahme. Die Wirtschafthilfe der Sowjets bleibt bescheiden, die Tschechen liefern ein paare Busse und Elektroapparate. Touré nennt die Sowjets daraufhin „kapitalistischer als die Kapitalisten“ und isoliert sein Land völlig. Guinesen wird die Ausreise verboten, die wenigen Ausländer unterliegen einer strengen Kontrolle. Mit Gefängnis, Folter und Tod wird jeglicher Protest unterdrückt. Mit Hilfe eines riesigen Beamten- und Polizeiapparates wird der junge Staat kontrolliert und regiert. Viele Tausend werden gefoltert und getötet, Guinea erscheint über viele Jahre zuoberst auf der Liste von Amnesty International.
1984 stirbt Touré überraschend an Herzversagen und bekommt eines der imposantesten Begräbnisse, die Afrika je gesehen hat. Einige Tage später hat das Militär unter General Conté geputscht und Touré wird nur noch wüst beschimpft. Die 27-jährige sozialistische Diktatur hat ein Ende. Die Wirtschaft wird liberalisiert und Korruption macht sich breit. Conté bereichert sich maßlos und wird innerhalb weniger Jahre mehrfacher Dollarmillionär und der größte Landbesitzer Guineas.
1990 werden loyale Zivilisten in die Regierung nominiert und es werden erstmals Touristenvisa ausgestellt.

wasserfallGuinea wird das Wasserschloss Westafrikas genannt

Heute gehört Guinea zu den ärmsten und industriell am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Im Weltentwicklungsbericht der UN nimmt es weltweit den letzten Rang ein (Kombination von Lebenserwartung, Alphabetisierung und realer Kaufkraft). Die Infrastruktur ist marode oder nicht vorhanden. Auf dem Korruptionsindex steht Guinea an zweiter Stelle, hinter Haiti, dem korruptesten Land der Welt.

Also fahren wir mal hin, gucken uns das Ganze mal live an.

pisteNur wie hin kommen? Wir fahren von Tambacounda (Senegal) erst mal nach Kedougou. Von dort wollen wir eine Piste über die kleinen Dörfer Segou, Longue, Mali und Yambering nach Labe fahren. Die Piste gilt als schwierig, vor allem weil sie stellenweise nur aus einem ausgewaschenen Flussbett besteht, kaum instandgehalten und fast nicht befahren wird. Wir verlassen Kedougou auf brauchbarer Piste in westliche Richtung. Nach etwa 10 Kilometern soll links eine Piste nach Guinea abgehen. Es weist sogar ein Schild in die Richtung, aber die Piste endet nach wenigen Kilometern im Gestrüpp und Buschwerk. Wir drehen und suchen nach der richtigen Piste, aber nichts ist zu finden. Wir fragen in einer kleinen Hütte nach:
piste“Wo ist die Piste nach Guinea?“
„Dort drüben, wo ihr raus gekommen seit.“
„Nein, das ist nicht die Piste, der Pfad endet nach wenigen Kilometern.“
„Doch das ist die Piste.“
„Nein, die Piste endet dort.“
„Ich lebe hier seit über 40 Jahren, wenn ich euch sage, dass das die Piste nach Guinea ist, dann müsst ihr nicht „nein“ sagen.“
„Bleibt die Piste so schlecht?“
„Nein, sie wird schlechter.“
„Wie lange braucht man für die 150 Kilometer bis zum Ort Mali?“
„Mit dem Landcruiser brauche ich zwei Tage.“

piste guineaWir drehen wieder und suchen Spuren in Richtung Süden. Alles was hier im Busch zu finden ist sind bestenfalls Radwege. Die Bergkette des Fouta Djalon kommt in Sichtweite und hinter dem letzten senegalesischen Ort Segou steigt die Piste steil an. Im normalen Straßengang nicht zu schaffen. Zudem ist die gerade mal fahrzeugbreite Piste mit ihren tiefen Auswaschungen und riesigen Steinblöcken in einem katastrophalen Zustand. Im ersten Gang, untersetzt mit allen Sperren schaffen wir soeben die Steigung. Ich frage mich, wie man über die Felsbrocken mit einem Landcruiser kommen will. Aus unseren Reifen werden ganze Stollen einfach weggerissen. Zu Fuß wären wir um einiges schneller. Und so schaffen wir es an diesem Tag auch mal gerade bis Longue, dem ersten Ort in Guinea.

piste

Die Einreise
Wir sind gespannt, haben bisher nichts gutes von den korrupten Polizisten und Zöllnern gehört. Der junge Polizist ist freundlich und überraschend korrekt. Kein Trick, keine Stempelgebühr, keine Frage nach Geschenken, einfach nur korrekt. Beim Zoll das Gleiche. Alles freundlich und korrekt. Wir sind etwas enttäuscht.
Zum Schluss liefere ich den Beiden eine Steilvorlage:
„Ich habe gehört, man braucht eine Straßenbenutzungsgenehmigung von der Polizei oder dem Zoll, wo bekomme ich diese?“
„Nein, so etwas braucht man als Tourist nicht. Es ist alles erledigt, Sie können fahren.“ Wir übernachten etwas außerhalb und haben an diesem Tag fast 50 Kilometer geschafft. Am nächsten Tag bei der Weiterfahrt zur Kleinstadt Mali fallen uns die typischen Fula-Rundhäuser mit ihren prächtigen, abgestuften Strohdächern auf. Leider werden immer mehr der Häuser inzwischen mit Wellblech gedeckt, vor allem wegen der geringeren Brandgefahr. In dem Städtchen Mali sehen wir die marode Infrastruktur in de Realität. 45.000 Menschen leben hier, aber die Stadt hat weder Wasserleitung noch Strom. Es ist Markttag und von weit her kommen die Menschen um zu verkaufen was sie in der Woche produziert haben. Ein Mann trägt zwei Hühner unter dem Arm, Frauen tragen Schüsseln mit selbstgekochtem Essen auf dem Kopf. Jeder hat irgendetwas zu verkaufen, aber nur kleinste Mengen. Mal ist es ein Glas Honig, mal 5 Tomaten oder ein kleiner Eimer Zwiebeln, ein kleines Tütchen mit vielleicht zehn Eiern, ein Bündel Holz, ein Schaf am Strick ist schon eine große Ausnahme.

kinderDer Bevölkerung wurde über 20 Jahre eingeredet, alle Weißen seien schlecht. Sie würden Afrika ausbeuten und die Menschen versklaven. Wir rechneten daher mit etwas unfreundlichen Menschen, aber genau das Gegenteil trat ein. Man braucht nur zu lachen, zu winken und freundlich sein und schon winkt und lacht jeder zurück. Scheinbar hat über 20 jahrelang niemand dem verrückten Präsidenten zugehört.

Der Dieb

„Lass den Dieb doch laufen, der hat ein Gewehr, bring dich doch nicht wegen ein paar Stühlen um,“ höre ich Sabine schreien.
„Das sind nicht irgendwelche Stühle, das sind meine Stühle.“
In Unterhose und Badeschlappen renne ich durch den Dschungel. Aber ich habe keine Chance. Trotz Vollmond kann ich nichts erkennen, sehe nichts, höre nur, wie in der Nähe Äste brechen. Der Dieb ist klar im Vorteil, er kennt die Pfade durch das Unterholz. Es ist unsere dritte Nacht in Guinea, wir sind immer noch auf der Piste von Kedougou nach Labe ein paar Kilometer hinter Yambering und haben einen Platz auf einer Lichtung im Wald neben der Piste gefunden.
Wir sind gerade beim Abendessen als plötzlich aus dem Nichts ein groß gewachsener Mann vor unserem Tisch steht. Auf dem Rücken trägt er ein Gewehr, das durch seinen blank polierten Lauf auffällt. Kurze Begrüßung und er verschwindet wieder.
Nach dem Abendessen gehen wir kurz ins Auto um zu duschen. Anschließend wollen wir draußen noch ein Bier trinken. Ich stehe unter der Dusche, höre das zusammenklappen unserer Klappstühle und zeitgleich auch Sabine rufen: „Unsere Stühle sind weg.“
Schnell wenigstens die Unterhose an und die erst besten Schuhe. In einem Satz aus dem Auto und ab in den Wald.
Zehn Minuten später bin ich wieder im Auto. „Wo will der mit zwei Stühlen und zwei Hocker hier hin? Den finden wir morgen.“
Sabine ist skeptisch, sie hat die Stühle schon abgeschrieben.
Am nächsten morgen hören wir Hühnergeschrei und Hundegebell. „Hier müssen irgendwo ein paar Hütten sein“, folgern wir und machen uns auf die Suche. Etwas weiter als ein Kilometer kommen wir in ein kleines Dorf, vielleicht zehn oder zwölf Rundhütten. Seltsam, das Dorf scheint ausgestorben. Vier junge Männer kommen auf uns zu.
„Was wollt ihr?“
„Wir wollen den Dorfchef sprechen.“
„Warum?“
„Wir sind gestern Abend ganz in der Nähe bestohlen worden. Der Dieb ist in diese Richtung gerannt, vielleicht hat ihn jemand gesehen. Oder der Dieb hat unsere Stühle im Wald versteckt. Wir wollen nur unsere Stühle zurück. Wenn sie jemand zufällig im Wald finden sollte und zu unserem Auto zurück bringt, zahlen wir umgerechnet 25 Euro Finderlohn.“
(25 Euro ist ein Monatslohn, aber uns sind die Stühle viel mehr wert und wir befürchten bei zu geringem „Finderlohn“ die Stühle nicht zurück zu bekommen.)
„Der Dorfchef ist nicht hier.“
„Ist auch egal, derjenige, der unsere Stühle findet, bekommt 25 Euro. Wir bleiben heute auf unserem Platz, morgen fahren wir mit unseren Stühlen weiter, oder, sollten sie nicht gefunden werden, holen wir die Polizei.“
Die Männer diskutieren in ihrer Stammessprache.
„Wir suchen die Stühle, bleibt auf eurem Platz.“
Den ganzen morgen passiert nichts. Wir beobachten das Dorf, alles geht seinen Gang. Die Männer roden Wald, die Frauen stampfen Hirse und kochen.
Am Mittag kommt ein 14-jähriger Junge zu uns.

dieb“Eure Stühle sind im Dorf, ich habe sie gesehen.“
„Wie heißt der Mann mit dem Gewehr?“
„Das darf ich nicht sagen.“
„Ist es ein Dieb?“
„Ja, ein großer Dieb, er hat auch schon Hühner und Schafe gestohlen.“
„Wie heißt er?“
„Ich darf es nicht sagen.“
Seine Mutter kommt und er wird zurechtgewiesen. Wir verstehen nichts, aber sie will wohl nicht, das er mit uns spricht.
Am Nachmittag kommen die Männer vom Morgen.
„Wir kennen den Dieb. Wir haben sein Motorrad gefunden und wir wissen wo er ist. Bekommen wir wirklich das Geld wenn wir die Stühle bringen?“
„Ja.“
„Kommt mit.“
Sicherheitshalber stecke ich mir mein Pfefferspray in die Tasche. Wir gehen mit den Männern ins Dorf. Zu unserer Verwunderung ist das ganze Dorf versammelt. Männer stehen und diskutieren lautstark. Es hört sich nach Streit an. Der Dorfchef und der Dorf Älteste begrüßen uns. Sie sind ausgesprochen nett, freundlich und höflich. Wir sind es auch.
Der Streit der Männer dauert an. Plötzlich setzt sich die Gruppe in Bewegung. Wir sollen folgen. Eine Hütte wird durchsucht. Nichts. Eine zweite Hütte wird durchsucht. Nichts.
Wir hören, wie der Dorfchef in der Hütte laut und ernsthaft spricht.
Die Gruppe teilt sich, wir sollen auf den Dorfplatz folgen.
Der Dorf Älteste will die Garantie, das keine Polizei kommt, wenn wir die Stühle zurück bekommen.
„Sobald die Stühle hier sind, zahlen wir den „Finderlohn“ und die Sache ist für uns erledigt und vergessen. Keine Polizei – Ehrenwort.“
Zwei Minuten später liegen unsere Stühle und Hocker auf dem Dorfplatz.
Der Dorfchef fragt nach dem Finderlohn. Ich zögere.
„Du musst dem Dorfchef den Finderlohn geben“, flüstert mir ein Dorfbewohner zu.
„Nein, es bekommt der den Finderlohn, der dafür gesorgt hat, das ich meine Stühle zurück bekommen habe.“
„Das kannst du nicht machen, der Dorfchef verliert sonst sein Gesicht.“
Die Männer des Dorfes vielleicht 30 oder 40 stehen um uns herum.
„Der Dorfchef hat sein Gesicht durch den Dieb verloren und nicht dadurch, das er jetzt kein Geld bekommt,“ versuche ich zu erklären.
Die Männer des Dorfes diskutieren. Einer vielleicht 50 Jahre alt sagt: „Wir sollten das Geld von dem weißen Mann nicht annehmen, einer von uns hat ihn bestohlen und es ist nur gerecht, das er seine Sachen zurück bekommt.“
Die Diskussion wird lauter und heftiger.
„Was sagen sie“, frage ich den einzig englisch sprechenden Jugendlichen.
„Sie diskutieren wegen dem Geld. Alle wollen es annehmen und haben.“
Ich unterbreche den Streit. „Wir lassen die Stühle hier liegen und gehen zurück zu unserem Auto. Es bleibt dabei wie wir es heute morgen versprochen haben. Derjenige, der uns die Stühle ans Auto bringt, bekommt die 25,- Euro. Verdient hätten es die drei Jugendlichen, aber wenn der Dorfchef uns die Stühle bringt bekommt er das Geld, macht es unter euch aus.“
Der Dorf Älteste fragt noch mal nach: „Keine Polizei morgen?“ „Nein, wir zahlen und die Sache ist für uns erledigt.“ Der alte Mann verabschiedet sich deutlich erleichtert.
Wenige Minuten später werden unsere Stühle ans Auto getragen. Es kommen die drei Jugendlichen vom Morgen. Der fünfzigjährige Mann kommt ebenfalls und entschuldigt sich nochmals für sein Dorf und den Dorfchef, das er das Geld wollte.
„Normalerweise wäre es unsere Pflicht, kein Geld zu nehmen und euch ein Festmahl zu machen, aber unser Dorfchef ist beleidigt, es gibt kein Essen.“
Bevor wir fahren frage ich einen der „Finder“ was vorhin im Dorf diskutiert wurde, als wir kamen.
„Das Dorf ist alles eine große Familie, viele befürchteten wenn die Polizei kommt werden wir alle verhaftet oder verprügelt. Deswegen wollten einige die Stühle im Wald vergraben und nicht zurück geben, dann hätte es keine Beweise gegeben das einer aus dem Dorf gestohlen hat. Andere wollten sich anschleichen und die Stühle heimlich vor euer Auto stellen und Andere wollten das Geld. Die das Geld wollten haben sich durchgesetzt. Darüber haben sie seit heute morgen diskutiert.“

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In der Stadt
In Labe, einer Stadt mit über 300.000 Einwohner gehen wir erst mal zur Bank. Der Diesel ist in Guinea im Vergleich zu den Nachbarländern relativ preiswert, knapp 70 Eurocent, also tauschen wir 400 Euro. Wir bekommen etwa 2,5 Millionen Franc Guinee. Der größte Schein ist ein 5.000, so muss ich erst mal zurück zum Auto und eine Plastiktüte holen, um das Geld aus der Bank zu schaffen. Als mehrfache Millionäre verlassen wir die Bank und fahren zum Zoll. Unser Carnet muss angestempelt werden. In Longue und auch in Mali war niemand dazu bereit. Beim Zoll ist man ausgesprochen freundlich. Man stellt zwei Stühle in den Schatten des großen Mangobaumes und telefoniert mit dem Direktor. Nur dieser darf unser Carnet stempeln. Zehn Minuten später fährt ein dunkler Mercedes vor. Der Direktor lässt den Chauffeur den Wagen im Schatten parken und schließt sein Büro auf. Wir folgen. Erst mal wird der Ferneseher eingeschaltet, dann folgt eine ausgiebige Kontrolle aller unserer Papiere. Aber immer sehr freundlich und korrekt.
Das Carnet wird gestempelt. Ich frage nach einem Passierschein für die Straße, den man angeblich braucht. Der Direktor lässt von seiner Sekretärin ein solches Dokument erstellen, stempelt und unterschreibt und händigt es uns aus. Wir warten auf seine Geldforderung.
„Nein, das ist alles gratis für Touristen“, lacht er mich an.
Muss ich ihn etwa daran erinnern, das er Beamter im zweitkorruptesten Land der Welt ist?

geld

Wir lernen Jürgen (Name geändert) kennen, einen ehemaligen Entwicklungshelfer und sind zwei Tage bei ihm zu Gast.
„Was ist los in Guinea, gibt es keine Korruption mehr?“ will ich wissen.
„Korruption, die findest du hier überall. Die Stadt hat über 300.000 Einwohner, aber nur zwei Tage in der Woche gibt es Wasser. Nicht, weil nicht genügend Wasser vorhanden wäre, sondern weil es für den Dieselgenerator nicht genug Diesel gibt. Diesel wird genug geliefert, aber der Stadtdirektor tankt seinen Privatwagen und den seiner Freunde dort. Es ist seit Jahren geplant, eine Stromleitung von der Stadt zum sieben Kilometer entfernten Brunnen zu legen, aber der Stadtdirektor verweigert seit Jahren die Genehmigung. Klar, denn dann wäre der Dieselgenerator überflüssig.
verkehrVor vier Jahren ist wegen Überlastung ein Transformator auf dem Gelände der Elektrizitätswerke explodiert und abgebrannt, die Sicherungen sind vorher von den „Technikern“ überbrückt worden. Seitdem, also seit vier Jahren gibt es in einigen Stadtteilen kein Strom mehr, dabei ist vor zwei Jahren ein neuer Transformator geliefert worden, aber dieser steht seit zwei Jahren im Dreck vor dem Gelände. Durch die Regenfälle der letzten Jahre ist er inzwischen fast knietief im Dreck versunken. An dem neuen Transformator konnte man gut verdienen, auch an den Transportgenehmigungen, aber am Einbau kann sich keiner bereichern, also steht das Ding im Dreck. Der Transformator hat seinen Zweck erfüllt. Im Krankenhaus sind die Zustände katastrophal. Hier wird operiert im Licht von Öllampen und natürlich hat das Krankenhaus auch nur alle 3-4 Tage Wasser.
Wichtige Medikamente, oder Metallplatten, die zur Behandlung von komplizierten Knochenbrüchen nötig sind, werden aus dem Krankenhaus gestohlen und im Basar verkauft. Die Chirurgen kennen den Händler und schicken ihre Patienten zu ihm. Der Händler ist ein Verwandter des Direktors. Ärzte die etwas dagegen sagen werden mit sehr schlechtem Zeugnis entlassen.
Lehrer erpressen Geld von den Eltern für gute Noten. Ein gutes oder schlechtes Zeugnis in Guinea sagt überhaupt nichts über das Lernverhalten oder den Wissenstand des Schülers. Ich hatte mit Agrar-Ingenieuren zu tun, die eine hochbezahlte Position inne hatten und die soeben mit Taschenrechner die Grundrechenarten konnten. Am Dreisatz und Prozentrechnung sind sie gescheitert.“

hausTypisches Haus in Guinea

Der Missionar

Über einen ehemaligen Arbeitskollegen von Sabine haben wir Kontakt zu einer Familie, die seit Jahren in Guinea als Mitarbeiter einer Schweizer Missionsstation arbeiten. Leider war die Verbindung über Internet schwierig und so haben wir erst in Guinea erfahren, das sie für ein paar Wochen Urlaub in Bamako machen. Aber auf der Suche nach ihrer Missionsstation haben uns Einheimische zu einer christlichen Missionsstation eines Deutschen geschickt. Wir werden eingeladen und können auf dem Missionsgelände campen.
Beim Abendessen wollen wir mehr von Matthias wissen.
„Wie kommt man ausgerechnet nach Guinea?“
“ Ich habe Bauer gelernt und war dann als Entwicklungshelfer hier in Guinea. Zurück in Deutschland bin ich von Gott zum Missionieren berufen worden und wieder zurück nach Guinea geschickt worden.“
„Bei der Leichtgläubigkeit der Afrikaner ist das ja ein Paradies für Missionare.“
„So leicht ist es nicht. Am Anfang gab es Morddrohungen und es sind auch schon Missionare umgebracht worden. Auch Gläubige, die sich ihren Familien offenbaren und sich vom Islam zum Christentum hinwenden, werden von ihren eigenen Familien verstoßen und teilweise sogar verfolgt und umgebracht.“
„Ich habe gelesen, dass durch die Isolation des Landes sich viele wieder den Naturreligionen zugewandt haben und es auch wieder zu Menschenopferungen bei den Ritualen kommt.“
„Menschenopfer gibt es auch bei den Muslimen hier in Guinea. Bei dem Bau der Moschee hier in der Stadt wurde bei der Grundsteinlegung eine Mädchen geopfert.“
„Wie will man die Vermischung von Ritualen der Naturreligionen, Geisterglaube etc. mit dem christlichen Glauben verhindern?“
„Warum verhindern? Geisterglaube ist ja kein falscher Glaube. Natürlich gibt es Geister und Dämonen. Jesus selbst hat Geister ausgetrieben, wo sollen die Geister den sein. Und man darf nicht vergessen es gibt den Teufel, der in unterschiedlichster Gestalt auftritt. Ich kenne einige, die von Dämonen gepeinigt werden und wir haben auch schon einige Dämonen mit Gottes Hilfe ausgetrieben. Wenn die Leute die Geister rufen und ihre geheimen Rituale vollziehen, brauchen sie sich nicht wundern, wenn die Geister Besitz von ihnen ergreifen. Es gibt nur einen Weg ins Paradies, den Weg den uns die Bibel zeigt, alles andere führt in die Hölle. Die Menschen müssen mehr Gottesfurcht haben, müssen der Sünde und Unmoral abschwören.“
„Wie finanziert man das Ganze?“
„Wir können hier mit wenig Geld viel machen, das Geld sind Spendengelder aus Deutschland, die uns unsere christliche Gemeinde dort sammelt. Ein großes Projekt ist die Schule, die wir betreiben. Ein Klassenraum kostet mit Einrichtung etwa 3.000 Euro. Die Klassenräume sind alle von der Gemeinde getragen worden. Wir sind eine Privatschule mit jetzt 250 Schülern und unterrichten den staatlichen Lehrstoff, bei uns wird zudem sehr viel wert auf Sozialverhalten und christliche Werte gelegt. Unsere Klassengröße sind nur 45 Schüler, an den staatlichen Schulen sind 120 Schüler je Klasse normal. Nur das Lehrergehalt wird auf die Eltern in Form von Schulgeld umgelegt.

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Doch noch Korruption
Auf der Straße von Labe nach Mamou kurz vor dem Städtchen Mamou müssen wir bei einem Polizeicheckpoint halten. Unsere Papiere werden kontrolliert und schon ist ein Fehler gefunden. Der Polizist behauptet unser Passierschein hätte in Mamou abgestempelt werden müssen, das kostet Strafe. Wir verweigern die Zahlung, und nach fünf Minuten bekommen wir unsere Papiere zurück. Die Nuss war schnell geknackt.
Die zweite Polizeikontrolle kurz hinter Kankan ist schon schwieriger.
Wieder beginnt es mit der Kontrolle unserer Papiere. Scheinbar alles okay.
auto“Noch das Zolldokument fürs Auto.“ Okay.
„Noch die Impfpässe wegen der Gelbfieberimpfung.“ Okay.
„Noch die Bescheinigung der Technischen Kontrolle des Fahrzeuges.“
„So ein Papier haben wir nicht, unser Auto ist technisch in bestem Zustand.“
Der Polizist spielt den Bösen, grimmiger Blick, er brüllt mit mir auf französisch, ich verstehe was von Strafe und Dollar, aber stelle mich erst mal blöd und zeige auf meine TÜV-Plakette und den TÜV-Stempel im Fahrzeugschein.
Wieder brüllt der Polizist irgendetwas von Dokument und Papier und zeigt mir seinen TÜV-Bericht für sein Moped.
„Ich werd verrückt, da steht wirklich TÜV, genau wie bei uns, so was gibt es hier? Das ist wohl unsere Form von Entwicklungshilfe, denen erst mal die Schrottautos still legen, aber es wird kein Auto stillgelegt, sondern es ist nur eine weitere Verdienstmöglichkeit.“
„Ich habe noch den unseren letzten TÜV-Bericht dabei“, sagt Sabine.
„Bring mal her, der wird Augen machen.“
Aber er erkennt den Bericht nicht an, er müsse ins französische übersetzt sein.
Da kann man nichts machen, außer warten. Und nach knapp zehn Minuten gibt er unsere Papiere zurück und verabschiedet sich mit einer Frage nach einem kleinen Geschenk. Geschenke gibt es natürlich nicht und nach so einer Nummer schon mal gar nicht.

Und die letzte Polizeikontrolle ist direkt vor der Ausreise nach Mali. Ich bin an dem Schild „Halte – Police“ vorbeigefahren und habe erst hinter dem Schild geparkt. Ich hätte natürlich vor dem Schild parken müssen, auch wenn ich es damit versperrt hätte. Das macht umgerechnet 40,- Euro Strafe und entspricht dem Monatslohn eines Lkw-Fahrers. Aber erst mal werden unsere Papiere gestempelt. Und zum Schluss noch die Strafe. Wir bleiben einfach sitzen, reagieren gar nicht auf seine Forderungen. Er erklärt noch mal, warum ich zahlen soll, ansonsten müssen wir bis zum Abend warten und dann mit auf die Polizeiwache kommen, oder wir zahlen ihm eine kleine Gebühr ohne Quittung. Wieder ist der Ton laut und einschüchternd. Okay, wir warten und gehen mit auf die Polizeiwache, wir zahlen nicht.
„Warum zahlst du nicht?“, will er von mir wissen.
Ich suche einen englisch sprechenden Übersetzer und finde einen der Straßenhändler, der aus Sierra Leone kommt.
„Ich zahle nicht, weil das, was der Polizist macht, Korruption ist. Korruption ist Gift für ein Land, es schadet allen, dir als Straßenhändler genau so wie letztendlich dem Polizisten selbst. Aber zur Korruption gehören immer zwei, einer der Geld fordert und einer der Geld gibt. Wenn ich Geld gebe, schade ich dem Land Guinea und allen Einwohnern, das Land ist so großartig und die Menschen so freundlich und nett, denen werde ich nicht schaden, also werde ich auch nicht zahlen, auch wenn es jetzt Stunden hier dauert.“
Der Straßenhändler übersetzt und wir bekommen ohne ein Wort unsere Papiere zurück und können gehen.

sonnenuntergang

Nachtrag zu Guinea
Die Armut in Guinea ist nicht bedingt durch schlechte geografische Lage, wie etwa in der Sahara.
In Guinea lagern etwa 30% der weltweiten Bauxit vorkommen. Die Böden wären ertragreich und Regen gibt es genug. Aber die Bevölkerung sind keine Bauern und Landwirtschaft ist niedere, verachtete Arbeit. Man versteht sich als Nomade und Viehzüchter und daher wird viel Ackerfläche nicht bewirtschaftet, sondern nur abgeweidet.
Eine kleine Geschichte, die mir der Entwicklungshelfer erzählte:
Ein Mann geht mit Hacke und Schaufel in Lumpen gekleidet aufs Feld.
„Was baust du an?“, will Jürgen wissen.
„Ich bin doch kein Bauer, ich gehe Gold suchen.“
Und das meint er ernst!!!

Noch eine schöne Geschichte die wir erlebten:
Ein Jugendlicher stellt uns seine Familie vor.
Das ist mein kleiner Bruder, gleicher Vater, gleiche Mutter.
Das ist mein dritter Bruder, gleiche Mutter, anderer Vater.
Das ist meine vierter Bruder, gleicher Vater, gleiche Mutter.
Das ist meine ältere Schwester, gleicher Vater, andere Mutter.
Das ist meine jüngste Schwester, gleicher Vater, andere Mutter.
Das ist mein ältester Bruder, anderer Vater, gleiche Mutter.
Und so ging es, bis alle 14 Geschwister durch waren.

Und noch Eine, wo ich einmal dabei bin:
In einem Dorf sind wir zum Tee eingeladen. Der alte Mann, vielleicht Ende der Sechziger zeigt uns einen drei jährigen Jungen, sein ganzer Stolz. Er ist der Papa.
Eine Anfang zwanzigjährige holt den Kleinen und bindet ihn auf den Rücken.
„Ist das deine Frau, oder seine ältere Schwester?“, frage ich etwas neugierig.
„Nein, das ist meine Enkelin.“
Wir erfahren, das es für einen Mann zur Ehre gehört, bis ins hohe Alter Kinder zu zeugen, um nicht in den Verdacht der Impotenz zu geraten. Daher wird, sobald die erste Frau aus dem gebehrfähigem Alter raus ist, eine junge Zweitfrau geheiratet und notfalls eine Drittfrau. Hauptsache reproduzieren bis zum Umfallen. Das ist gelebte Polygamie, wie sie hier in Westafrika üblich ist.

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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