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Feluken auf dem Nil
Ägypten

Lady Killer

Wir fahren auf der Landstraße von Edfu nach Luxor. Die Polizeisperre in Edfu haben wir auf einem Schleichweg umfahren, aber 60 Kilometer vor Luxor ist die freie Fahrt beendet. Wir müssen auf den Konvoi, der aus fast 40 Touristenbussen besteht, warten. Diesmal werden wir sofort zugeparkt, scheinbar erinnert sich die Polizei an uns. Vor drei Wochen waren wir schon einmal auf dieser Strecke unterwegs und sind ohne auf den Konvoi zu warten einfach davon gefahren.
Wir warten. Die Polizisten sind nett, ich mache ein paar Späße und werde zum Tee eingeladen. Die ersten Touristenbusse kommen und sofort erscheint eine Traube Souvenirhändler mit Badetüchern, T-Shirts und sonstigem Kram. Kein Tourist interessiert sich für den Plunder.

Ich versuche mich als Tuchhändler

Ich versuche mich als Tuchhändler

Ich zeige den Souvenirhändlern, wie man in Hamburg Fisch verkauft. Eine große Tüte und statt Aal, Makrele und Bückling, alles für 2,- Euro, packe ich das Badehandtuch, das Papyrus und das T-Shirt in die Tüte und obendrauf gibt es noch die Sphinx gratis dazu. Die Touristen bleiben stehen. Die Händler freuen sich, dass die Touristen nicht so schnell davon laufen und laden mich zum Tee ein. Die Polizisten lachen sich kaputt. Die Touristen sind alle im Cafe verschwunden, keiner hat gekauft, nur eine ältere Dame um die 60 Jahre alt, kommt auf mich zu und sagt: „Helfen Sie mir, ich bin gekidnappt, die bringen mich um“.
Zuerst denke ich an einen schlechten Scherz, die Revanche für das Badehandtuch. Doch die Frau scherzt nicht, ihr Lippen sind blass, sie zittert, ich spüre ihre Angst.
„Wer will sie umbringen?“
„Die beiden Männer in der dunkeln Limousine. Schauen sie nicht hin, bitte helfen sie mir, ich will nicht mehr in das Auto steigen.“
Ich hole das Badehandtuch aus der Tüte und tue so, als erklärte ich ihr die gestickten Hieroglyphen.
„Was ist passiert?“
„Die haben mich eingesperrt und geschlagen, mir meinen Pass und mein Geld weggenommen, einer ist mein Freund.“
„Warum gehen sie nicht zur Polizei.“
„Die haben gesagt, sie geben der Polizei Geld und dann wird die Polizei mir nicht glauben und ich muss wieder zu ihnen ins Auto, dann bringen sie mich um, weil ich mit der Polizei gesprochen habe.“
„Was soll ich machen?“
„Bitte helfen sie mir.“
„Okay, sie können bei uns in dem lila Truck mitfahren, ich hole ihre Sachen.“
Sie zittert noch immer. Ich weis nicht was ich machen soll. Gedanken schießen durch meinen Kopf. Zur Polizei gehen? Würde ich der Polizei trauen? Dann hätte sie auch gleich zur Polizei gehen können. Was ist, wenn die Polizei wirklich korrupt ist? Die Frau hat sich mir anvertraut und nicht der Polizei. Ich muss mit den Entführern reden. Ich wollte nicht in den Konvoi. Die 30 Meter zu dem schwarzen VW-Jetta sind schnell gegangen. Ich habe mir noch keine Strategie überlegt, meine Gedanken hängen fest: Kann man der Polizei trauen oder nicht. Der Fahrer sitzt hinter dem Steuer. Ein Mann vielleicht 25 Jahre, Markenjeans, Lederjacke, gegeeltes Haar, Ray-Ben Sonnenbrille, saubere Lederschuhe, steht an der Beifahrertür gelehnt und raucht.
„Hallo, ich will die Tasche der Frau holen, sie fährt bei uns mit, wir wollen uns etwas unterhalten.“
Der Mann schnippt die Zigarette weg und steht jetzt direkt vor mir.
„Die Frau fährt hier mit, warum sprichst du mit der Frau? Du hast nichts mit ihr zu reden.“
„Ich rede mit wem ich will, gib die Tasche.“
„Du hast mich zu fragen, wenn du mit ihr sprechen willst, die Tasche bleibt hier.“
„Ich hab´ keinen zu fragen, du bist für mich ein nichts. Bei drei habe ich die Tasche oder ich hole die Polizei. Eins, zwei, drei.“
Ich drehe mich um und gehe in schnellen Schritten zur Polizei. Der Polizist versteht überraschend schnell. Ein paar Befehle auf arabisch. Zwei Zivilpolizisten gehen los, gefolgt von drei Polizisten mit Maschinengewehren. Kurze Zeit später sind sie zurück mit der Tasche der Frau und den beiden Männern. Die Frau sagt, dass sie ihr Geld und ihre Papiere haben, dass sie seit zwei Tagen eingesperrt ist und geschlagen wird. Jetzt werden den Beiden Handschellen umgelegt und mit dem Einrasten geht die Frau in die Hocke und heult.

Wir bringen sie nach Luxor in ihr Hotel „Zum heiligen Joseph“ und werden zum Essen eingeladen.
Sie hat einen der Männer vor ein paar Jahren per Internet kennen gelernt und wollte ihn jetzt besuchen. Er ist ein Feluken-Mann. (Feluken sind kleine Segelboote, mit denen Touristen über den Nil gesegelt werden.) Sie war in seiner Familie, kennt seine Mutter und Geschwister, hat ihm finanziell geholfen, über 500,- Euro. Mit ihm und seinem Freund (dem Taxifahrer) hat sie eine Zwei-Tagesreise nach Assuan unternommen. Im Hotel in Assuan wollte er, das sie ihn heiratet, damit er mit nach England kommen kann. Sie wollte nicht. Dann sollte sie ihm weitere 200,- Euro geben. Das wollte sie auch nicht. Daraufhin wurde sie geohrfeigt und ins Hotelzimmer eingesperrt. Er nahm ihr das Geld und alle Papiere ab. Im Hotel waren keine anderen Gäste, er hatte das Hotel ausgesucht. Aber jetzt ist alles vorbei. Morgen reist sie zurück nach England.
Später bei der Polizei, wir sind alleine mit dem Polizisten, hören wir eine andere Story:
Das Hotel „Zum heiligen Joseph“ ist bekannt unter älteren Damen aus England, die besondere Abenteuer suchen. Die Steuermänner der Feluken bieten diese spezielle Dienstleistung an. Besonders clevere Frauen gehen am Tag vor ihrer Abreise zur Polizei und zeigen den Felukenmann z.B. wegen Diebstahl an. Dieser wird verhaftet und die Lady spart das Honorar für die schönen Tage und Stunden.

Unser Felukenmann wird für zwei bis drei Monate hinter Gitter sein. Gerichtsverhandlung gibt es nicht. Es herrscht seit den 80ziger Jahren der Ausnahmezustand, welcher der Polizei weite Rechte einräumt. Seit dieser Zeit gibt es auch die Konvoipflicht, die von großen Teilen der Polizei als Unsinn betrachtet wird, aber man sägt nicht an dem Ast auf dem man sitzt.
Der Polizist war gebildet, hatte in Riad und London studiert, sprach natürlich perfekt Englisch und seine Familie begleitet seit Generationen hohe Ämter in Militär und Polizei. Bei der zweiten Teerunde waren wir beim Nahostkonflikt angelangt. Seine Antwort auf meine naive Frage „Was ist so schwierig an einem Friedensvertrag?“, war so dumm, dass ich sie nicht als seine Meinung werte, sondern um mir das Problem zu verdeutlichen, oder war es wirklich seine Meinung?
„Wenn die Israelis Frieden anbieten, wollen Sie keinen wirklichen Frieden. Sie machen immer dann Zugeständnisse wenn ihr Lage schlecht ist. Sie wollen mit einem Friedensvertrag nur Zeit gewinnen, um ihre Waffen zu modernisieren. Sie werden sich nicht auf ihr jetziges Territorium beschränken, sie wollen das Land vom Nil bis zum Euphrat. Wer mit den Israelis Frieden macht, denkt nicht an seine Kinder, die dann vor einem viel größeren Problem stehen. Die Israelis haben im 6-Tage-Krieg den Syrien, Jordaniern und Ägyptern Land geraubt“,
„Moment, die Israelis haben den Krieg nicht begonnen“, unterbrach ich ihn.
„Die Israelis haben so lange provoziert, bis es nur noch diese Möglichkeit der Antwort gab.“ „Aber Ägypten hat einen Friedensvertrag geschlossen.“
„Wir wurden von den Amerikanern erpresst. Sie schenken uns jährlich Weizen für eine Milliarde Dollar, wenn wir nicht zugestimmt hätten, müssten wir hungern, weil wir dann für den Weizen hätten bezahlen müssen. Und deswegen waren wir 1991 mit den USA in Kuwait, und deswegen muss unser Geheimdienst jetzt mit den USA zusammenarbeiten. Aber die Amerikaner sind nicht unsere Freunde, sie schenken die modernsten Waffen den Israelis und wir bekommen nur veraltete drittklassige Waffensysteme geliefert. Die Amerikaner sind nicht fair.“
„Wie sieht die Zukunft aus?“
„In 20 Jahren wird alles anders sein. Wir brauchen mehr Einwohner. 100 oder 120 Millionen, dann haben wir mehr Gewicht in der Region und man hört auf unsere Stimme, dann können wir auch mit alten Waffen kämpfen, weil wir so viele sind. Wir werden unabhängig von den USA sein. Wir bauen einen riesigen Wasserkanal vom Nassersee in die Wüste, wenn der fertig ist können wir 120 Millionen ernähren und die Amerikaner können ihren Weizen ins Meer kippen.“
(Den Kanal haben wir auf dem Weg nach Abu Simbel gesehen. Ein wirklich gigantisches Projekt. Überall sieht man Schilder, die auf die Geldgeber aus Dubai, Bahrain, Vereinigte Arabische Emirate und sonstige Scheichs hinweisen.)

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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