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Knast, Puff und Rebellen

Im Puff

Vorbemerkung: Die Reise fand im Jahr 2001 statt. Unsere Idee war, mal zu gucken ob es wirklich Rebellen in Niger gibt. Die geplante Route führte von Djanet nach Bilma, dann quer durch die Tenere nach Agadez und am Ostrand des Aiir entlang zurück nach Algerien. 

Nachdem wir ca. 50 km in Richtung 170-180 Grad gefahren sind, taucht vor uns der Mount Tiska auf, den wir westlich umfahren wollen. Wir entdecken Spuren von drei bis vier Fahrzeugen und einem Lkw, welchen wir folgen. Doch die Spuren schwenken um in Richtung Süd-Ost und später ganz Richtung Ost. Eigentlich nicht unsere Richtung, aber die Landschaft ist äußerst reizvoll, daher folgen wir ihnen weiter, auch wenn wir befürchten, auf der Piste nach In Ezzane zu sein.

Von dort könnten wir über den „Passe de Salvador“ nach Madama reisen und die erforderlichen Formalitäten für den Niger erledigen. Unser Diesel reicht auf jeden Fall, selbst, wenn wir noch weitere Umwege fahren.
Auf festem Sand geht es durch kleine Schluchten und bizarre Steinskulpturen. Zu unserer Verwunderung ändert sich die Richtung der Spuren plötzlich in Richtung Süd und führen jetzt mitten in das Gebirge hinein. Die Landschaft wird nochmals grandioser.

Langsam kommen uns erste Zweifel, ob wir uns wirklich auf einer bekannten Piste befinden, oder ob es sich vielleicht eher um Spuren von Banditen oder Rebellen handelt, denen wir jetzt unfreiwillig in ihr Versteck folgen, denn es sind nur Spuren von vier Fahrzeugen auszumachen, und Möglichkeiten, in einer der vielen Schluchten oder Höhlen unbemerkt Zuflucht zu finden, gibt es reichlich.

Wir verlassen die Spuren und suchen uns einen eigenen Weg. Nach einigen Kilometern sehen wir auch den Berg Adrar Mariaou, der am Rande der Ebene liegt, in welcher die alte Berliet-Piste nach Chirfa verläuft.
Unser Vorhaben klappt und wir finden eine Passage, durch die wir in die Ebene gelangen. Das Fahren wird schwieriger, da es einige tückische, weiche Sandstellen gibt.
Doch schon bald verschwindet die Gebirgskette im Rückspiegel und es wird langweilig. Wir fahren auf Sand durch eine endlose Ebene, immer gerade aus. Kein Hügel, keine Gräben, noch nicht einmal ein Haufen Sand bringt Abwechslung. Es ist einfach nur flach.

Stunden später entdecken wir ein altes Autowrack, scheinbar die Reste eines Rallye-Fahrzeuges, die einzige Abwechslung an diesem Tag. Mit Einbruch der Dunkelheit halten wir an und errichten unser Nachtlager.

Am nächsten Tag taucht, nach drei Stunden Fahrt, im Osten eine Gebirgskette auf. Wir vermuten die Abbruch-kante des Plateau du Djado und fahren darauf zu. Dem Gebirge folgen wir nach Süden und erreichen gegen zehn Uhr die erste Oase im Niger, Chirfa.

Langsam nähern wir uns einer Lehmhütte, auf der die Fahne des Niger weht. Die Lehmhütte ist verlassen, der Ort liegt auf einer kleinen Anhöhe, welche von uns nicht ganz einsehbar ist. Doch schon kommen einige Männer auf uns zu gelaufen.
Wir sind gespannt, haben wir doch einige Geschichten von Korruption, Willkür und Bestechung gehört. Die Männer entpuppen sich als Militärs und Polizisten. Die Kontrolle ist korrekt und wir wünschen einen Stempel in unseren Pass, damit wir bei späteren Kontrollen nicht als illegale Grenzgänger angesehen werden.
Wir machen einen kleinen Abstecher nach Djado, einer Ruinenstadt des Altertums, ca. 10 km weiter im Norden. Die Zufahrt erweist sich als schwierig, da es im Slalom durch einen üppigen Palmenwald geht. Rund um die Ruinen leben Menschen in Gras- oder Basthütten. Sie winken.

Jemand bietet sich als Führer durch die Ruinen an, und wenig später kriechen wir durch kleine Tunnel, laufen durch dunkle Gänge, steigen über umgeknickte Palmstämme und haben Spaß, die Ruinenstadt zu erforschen.
Nach der üblichen Teezeremonie als Zeichen der Gastfreundschaft geht es am Nachmittag weiter Richtung Seguedine. Es gibt eine Piste, welche durch Kamelspuren und herumliegendem Kamelkot gut zu erkennen ist. Die Oase Chirfa scheint überwiegend von Karawanen versorgt zu werden.

In Seguedine angekommen, melden wir uns beim Militär. Hier werden wir überaus zuvorkommend und freundlich behandelt. Keinerlei Bettelei seitens der Militärs. Der Oberst scheint in Frankreich ausgebildet worden zu sein, denn er verfügt über Manieren, er spuckt nicht in die Ecke und hält uns sogar die Tür auf. Er ist einer der wenigen Militärs in Niger, dem wir Respekt zollen.
Das Gespräch verläuft freundlich. Wir erkundigen uns nach der aktuellen Sicherheitslage und erfahren einige Neuigkeiten. Anfang September, also vor etwa sieben Wochen, hat man den Rebellenchef und einige seiner Gefolgsleute in dem Gebirge bei Chirfa aufgespürt und erschossen, sowie 200 Mitglieder einer Rebellenbewegung verhaftet.

Von dieser Seite bestünde keine Gefahr mehr. Für unsere Sicherheit könne er somit garantieren. Lediglich in Richtung Col de Gobo sollten wir nicht fahren, da dieses Gebiet vermint worden sei. Die Rebellen kamen angeblich aus dem Tschad und gehörten zur Volksgruppe der Toubou. Damit aus dem Tschad keine Rebellen nachrücken, ist die Grenze zum Tschad ab dem Col vermint.

Wir verabschieden uns und setzen unsere Reise in Richtung Bilma fort. Noch bevor wir die Oase Bilma erreichen, sehen wir den schwarzen Vulkankegel Pic Zoumri. Unsere Piste führt direkt auf ihn zu. Im Sand geht es weiter steil bergauf und es scheint fast unmöglich, die Strecke zu befahren. Wir versuchen es trotzdem. Glücklicherweise ist der Sand so fest, dass es wider erwarten keine große Schwierigkeiten gibt. Nach einiger Zeit passieren wir einen Brunnen und fahren weiter in den Spuren der Lkws durch immer weicher werdenden Sand. Die Spurbreite der Lkws ist das eigentliche Problem für unseren Toyota. Wir können nicht mit beiden Reifen in den Spuren der Lkws fahren, weil wir sonst aufsetzen würden. Wir lösen das Problem, indem wir mit einem Rad in der Spur und mit der anderen Seite im weichen Sand fahren, was allerdings unangenehm ist und den Dieselverbrauch steigen lässt.

Die Orientierung ist problemlos. Zum Einen gibt es die Lkw-Spuren und zum Anderen verläuft östlich eine Gebirgskette aus dunklem Gestein, die Kaouar-Stufe, in Nord-Süd-Richtung.

Um dem weichen Sand zu entgehen, fahren wir etwas weiter westlich, die Abbruchkante der Kaouar-Stufe immer im Blick. Wir entdecken eine interessante Straffierung auf dem flachen, kiesigen Untergrund. Wie ein Streifenpulli ziehen sich mehrere Bahnen parallel von Nord nach Süd, auf denen kein einziger größerer Kieselstein liegt, sondern weicher Sand. Teilweise sind die Streifen schätzungsweise 80 oder 100 m breit.

„Das muss die alte Bornu-Straße sein“, weiß Frank. „Die Bornu waren fast eintausend Jahre lang die Herrscher in dem Gebiet und kontrollierten im Mittelalter die wichtigste Karawanenroute durch die Sahara. Auf ihr wurden die Waren, vor allem Elfenbein und Sklaven aus Schwarzafrika, in die Küstenländer des Mittelmeeres transportiert. Tausende von Kamelen marschierten diesen Weg und natürlich Tausende von aneinandergeketteten Sklaven, die nach Norden getrieben wurden, so ist die Straße entstanden. Die Sklaven wurden gegen Kupfer, Glas, Pferde und vor allem Waffen eingetauscht, welche die Karawanen auf ihrem Rückweg in den Süden transportierten.“

Wenige Kilometer später sehen wir am Horizont schemenhaft eine Karawane, die sich in der flimmernden Hitze auf uns zu bewegt. Wir fahren langsam auf sie zu und stoppen in einem Abstand von ca. 500 m. Frank stellt den Motor ab, um die Tiere nicht zu verunsichern. In einem Abstand von allenfalls 200 m zieht die Karawane mit mehreren hundert Tieren an uns vorbei. Wir sind beeindruckt, einfach sprachlos.

Einer der Karawanenführer kommt im Eilschritt auf uns zu. Wir befürchten schon wieder Bettelei und unangenehme Preisverhandlungen wegen der geschossenen Fotos, doch er begrüßt uns freundlich und fragt lediglich nach einer Zigarette. Obwohl Frank und ich nicht rauchen, haben wir für solche Fälle immer eine Packung im Handschuhfach liegen. Angeblich besteht seine Karawane aus über 1.000 Tieren, berichtet er, was uns etwas übertrieben vorkommt.

Später lese ich im Internet, dass im Niger die größten Karawanen in Bilma gebildet werden und bis zu 1.000 Tiere stark sein können. Vielleicht waren es wirklich mehr als 1.000 Dromedare.

Der Karawanenführer verabschiedet sich ebenso schnell wie er gekommen ist. Er muss sich beeilen, den An-schluss nicht zu verlieren, denn die Karawane zieht unermüdlich weiter.
Gegen Abend erreichen wir die Oase Dirkou. Hier muss der Papierkram für die offizielle Einreise in den Niger erledigt werden.

„Am Besten suchen wir uns jetzt einen Übernachtungsplatz und nehmen die Einreiseformalitäten erst morgen früh in Angriff. Wenn der Papierkram länger dauert und wir Pech haben, dürfen wir im Dunkeln die Oase nicht verlassen und müssen evtl. ein Zimmer mieten“, meint Frank.
„Einverstanden, ich habe auch keine Lust auf lange Diskussionen mit den Zöllnern. Wir können ja da hinten zu dem Palmenwäldchen fahren.“

In Dirkou laufen Ziegen und Schafe durch die Straßen und suchen in dem Müll, der durch die staubigen Straßen weht, nach Essbarem. Papier und Plastiktüten werden durchgekaut. Frank und mich nerven die vielen Fliegen, die sich kaum verscheuchen lassen. Die Kinder haben den Kampf schon aufgegeben und die Fliegen kleben zu Duzenden an Mundwinkeln, Rotznasen und Augen. Die verstaubte Vormittagssonne taucht die braunen Lehmhäuser und Blechbaracken von Dirkou in ein trübes Licht.

In einer der Baracken befindet sich das Büro irgendeines wichtigen Beamten in Militäruniform, in dem wir nun sitzen und trinken Tee. Wir haben zwar ein Visum für Niger, sind aber ohne obligatorischen Führer und ohne entsprechende Kfz-Versicherungspapiere unterwegs. Der Fall, dass jemand direkt durch die Wüste kommt und nicht aus Agadez, wo sich alles organisieren lässt, kommt in der Theorie nicht vor. Also fahren wir in jeder Oase zum „Dorfchef“ und bitten um Erlaubnis, in die nächste Oase weiter fahren zu dürfen. So haben wir bereits in Chirfa und Seguedine Tee getrunken und uns immer die Erlaubnis in den Reisepass schreiben lassen.

Alle Dorfchefs tragen Uniform und da weder Frank noch ich beim Militär gedient haben, und uns daher mit Rangabzeichen nicht auskennen, sind für uns all Diejenigen, die was zu entscheiden haben, oder für uns wichtig sind, „Generäle“.

Die Prozedur bei unserm General in Dirkou zieht sich hin. Wir trinken inzwischen die dritte Runde Tee, eine kleine Schale mit Datteln wurde ebenfalls auf den Tisch gestellt. Doch von den zuckrigen Datteln ist nicht viel zu sehen, sie werden von einem summendem Haufen schwarzer Fliegen belagert.

„Der soll endlich schreiben und stempeln! Der muss doch nur noch das abschreiben, was die Generäle vor ihm schon geschrieben haben. Oder kann der nicht schreiben?“, frage ich Frank und lächele den General geduldig an.

„Ich frag ihn mal, was los ist“, erwidert Frank.

Monsieur, est-ce qu’il y a un problème?“ Die Militärs sprechen halbwegs französisch, verstehen aber nicht, wenn Frank und ich uns auf deutsch unterhalten. Der Einfachheit halber gebe ich hier die Rede der Militärs in deutsch wieder.

„Ja, ein großes Problem, der Stempel befindet sich in der Schreibtischschublade, die ist aber abgeschlossen. Den Schlüssel finden wir seit ein paar Tagen nicht mehr. Aber ich habe schon Leute losgeschickt, um noch mal zu suchen.“
Frank guckt mich an, ich grinse zurück: „Dann warten wir halt noch ein paar Tage, irgendwann wird der Schlüssel schon auftauchen.“
Und Frank zum General gewandt: „Kein Problem, wir haben Zeit.“
Inzwischen ist es Nachmittag, die Sonne fällt schräg durch die Gitterstäbe der Fenster und zeigt deutlich, in was für einem Staub wir sitzen.

Der General bellt barsche Befehle ins Vorzimmer und kurze Zeit danach steht ein junger Soldat mit einem Montiereisen in der Tür. Der General nimmt es ihm aus der Hand und setzt es an der Schublade an. Holz splittert, er setzt nochmals nach und mit einem Ruck ist die Schublade offen. Er schreibt den Text seiner Vorgänger ab, setzt seinen Stempel drunter, fertig.
„Jetzt aber raus aus der Bude, mal sehen, ob wir vor dem Dunkelwerden noch Diesel auftreiben können“, sagt Frank.

In Dirkou soll es geschmuggelten Diesel aus Libyen geben, der dort nur ein paar Cent kostet und hier zum fünf- bis sechsfachen Preis verkauft wird. Auf der Rücksitzbank haben wir immer noch das 200 Liter Fass randvoll mit Diesel liegen. Wir könnten auch noch die 700 km nach Agadez kommen, aber der Toyo braucht im weichen Sand fast 25 Liter auf 100 km und deswegen haben wir lieber zuviel Diesel und Wasser dabei, als in der Wüste mit zu wenig liegen zu bleiben.

Der Dieselhändler ist leicht zu finden. Man erkennt ihn an dem großen Dieselfleck vor seinem Haus in Sicht-weite der Polizei.
„Wir möchten Diesel kaufen, sind wir hier richtig?“ Frank übernimmt die Verständigung, sein Französisch ist besser als meins.
„Ja, kommt mit, wie viel wollt ihr?“ Er führt uns zu einer Wellblechbude neben seinem Haus.
„Kommt auf den Preis an, für 270 CFA nehmen wir 100 Liter, kriegen wir ihn für 250 CFA pro Liter, nehmen wir 150 Liter.“
„Da muss ich ein neues Fass holen, helft mal mit.“

Der Mann, vielleicht 50 Jahre alt, braune Hose, braunes, bekleckertes Hemd, öffnet den Schuppen, darin steht ein uralter Land Cruiser, der genauso braun ist wie seine Klamotten.
„Helft mal mit schieben.“
Wir rollen den Toyota auf die Straße. Ein paar Männer kommen dazu und helfen anschieben, mit dabei ist sogar der Polizeichef von nebenan. Der Benzinmotor springt an, der Händler gibt sofort Vollgas und lässt das Gaspedal fast eine halbe Minute voll durchgetreten.

„Wahnsinn, was so ein Motor alles aushält. Wie kann man den so quälen?“
„Sie wissen nicht, was sie tun“, entgegnet Frank.
Der Dieselhändler kommt zu uns und hält die Hand auf: „Macht 37500 CFA, ich gebe euch 150 Liter.“
„Erst die Ware, dann das Geld.“
„Bei mir ist es anders, erst das Geld“, fordert er bestimmt. Ich gebe ihm das Geld passend und der Händler verschwindet in seinem Toyota.
„Hoffentlich ist der nicht über alle Berge, ist ne Menge Kohle für den“, sorgt sich Frank.
„Quatsch, der kommt zurück, wir wissen doch, wo er wohnt, selbst der Polizeichef kennt ihn, der hat doch schieben geholfen.“
„Ja und? Was ist, wenn er behauptet, er hätte kein Geld bekommen?“
„Mensch Frank, was haben wir schon alles zusammen gemacht, und jetzt willst du mir erzählen, dass wir mit einem Dieselhändler, der uns betrügen will, nicht fertig werden?“
„Okay. Wo will er mit dem alten Karren auch hin. Komm, wir setzen uns dahinten unter den Baum, da können wir das Leben in dem Nest beobachten und haben auch den Schuppen im Blick, wenn der Dieselfritze zurück kommt, – wenn er denn zurück kommt.“

Um den Baum liegen große Steine, auf denen man bequem sitzen kann. Ich gehe zum Auto und hole meine Wasserflasche, meine Zunge klebt am Gaumen von dem vielen süßen Tee beim General.

„Burkhard, komm schnell, guck dir das an!“

Ich laufe zurück und sehe einen Mercedes-Allrad-Rundschnauzer mit riesigen Sandreifen um die Ecke kommen. Man kann es nicht begreifen, wie man einen Lastwagen so beladen kann, er ist bestimmt fünf Meter hoch und vier Meter breit. Überall sind Säcke und kleine Kisten mit Stricken fest gebunden. Wahnsinn! Und obendrauf sitzen nochmals bestimmt 80, oder mehr, Schwarzafrikaner.
„So was habe ich noch nie gesehen, das musst du fotografieren, das glaubt uns sonst keiner.“

Der Lastwagen hält vielleicht 100 m von „unserem“ Baum entfernt an. Die Beifahrertür geht auf und ein Schwarzafrikaner mit Baseballkappe und verspiegelter Sonnenbrille, ca. 30 Jahre alt, erteilt Kommandos. Säcke werden abgebunden und entladen, unzählige Plastiktüten werden auf dem Boden ausgebreitet. Inzwischen sind auch die Menschen von der Ladung runtergeklettert und einige haben sich im Kreis um uns herum versammelt. Andere entfachen ein Feuer und kochen Tee, wieder andere werfen alte Decken von dem Lastwagen und legen sich damit in den Straßengraben schlafen, wo vor ein paar Stunden noch die Ziegen den Müll gefressen haben. Die Oasenbewohner kommen herbeigelaufen und kaufen, tauschen und tratschen. Geschrei und Hektik wie auf dem Jahrmarkt.

Der gut gekleidete Schwarzafrikaner mit der verspiegelten Sonnenbrille kommt auf uns zu. Schon von weitem ruft er: „Hey friends – welcome to Dirkou.“
„Das ist ja ein Verrückter, aber lustig.“
Wir begrüßen uns, als wären wir alte Freunde. Er setzt sich zu uns auf einen Stein und fragt nach dem Woher und dem Wohin.
Wir drucksen ein bisschen rum, behalten unsere Route lieber für uns, denn wenn keiner weiß, wo wir sind, ist auch keiner da, um uns zu überfallen.
Unser Freund gibt etwas bereitwilliger Auskunft, und so erfahren wir, dass der Lastwagen aus Agadez kommt und auf dem Weg nach Libyen ist. Illegal. Die Menschen kommen alle aus Nigeria und Benin. Die Männer sind alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, die Frauen deutlich jünger. Alle sind illegale Flüchtlinge. Der freundliche Mann mit der verspiegelten Sonnenbrille hat den Transport organisiert, ist also der Schlepper und verdient gut an dem „Traum von Europa“ all derer, welche in ihrer Heimat ausgeträumt haben und keine Zukunft sehen.

Frank, und natürlich auch mir, fallen die vielen hübschen jungen Frauen auf. Sie sind ganz anders gekleidet, nicht verschleiert wie die muslimischen Frauen, sondern mit bunten Tüchern umgewickelt, welche die schlanke Figur betonen. Unsere Blicke sind gefangen von dem Anblick dieser schönen Körper.

Frank bringt mich zurück in die Gegenwart: “Na, unser Diesel kommt wohl nicht mehr, der Typ ist durchgebrannt.“
„Warte mal ab, der holt das Zeug in Libyen, in vier Tagen ist er zurück“, scherze ich. „Aber hier ist es doch auch ganz nett.“ Ich zeige mit meinen Augen auf eine der leicht bekleideten Damen.

Dem Chef scheint dies nicht entgangen zu sein, und er fragt: „Na, wie gefallen euch meine Mädchen, very sexy, oder?“
Was sollen wir lügen, sind ja auch super sexy, seine Mädchen. Wir waren nur von der direkten Frage überrascht.

„Ja, deine Mädchen sind sehr hübsch und schön“, antworte ich und zeige den gehobenen Daumen.
Die jungen Frauen kichern und flüstern untereinander. „Wenn sie euch gefallen, sucht euch eine aus, ich schenk sie euch für die Nacht. Ach was, sucht euch jeder zwei oder drei aus, ihr könnt jede haben.“
Wir sind geschockt, damit haben wir überhaupt nicht gerechnet. Gedanken rasen durch meinen Kopf. Wie komm ich aus der Nummer wieder raus? Kann ich das Geschenk ausschlagen? Er wird bestimmt beleidigt sein, wenn ich seine Gastfreundschaft so mit Füßen trete! Schwarzafrikanische Nutten haben zu 80 % Aids. Ich habe keine Kondome dabei. Soll ich durch das muslimische Dirkou laufen und überall fragen: „Kann mir einer Kondome verkaufen?“ Ich gucke Frank ratlos an, aber er guckt genauso ratlos zurück.

„Wir sollten erst mal eiskalt duschen gehen“, schlage ich vor. „Scheiße! Lass dir was besseres einfallen!“
„Na, welche gefallen euch, welche wollt ihr?“ Der Boss ruft irgendetwas zu seinen Mädels und sofort sitzen zwei bei mir und zwei bei Frank auf dem Schoß.
„Die duften auch noch gut nach Parfüm, wie machen die das nach Tagen auf dem Lastwagen durch den Staub und Dreck?“, frage ich Frank.
„Ist mir egal, wie die das machen. Wir haben jetzt andere Probleme. Sag mir lieber, wie wir aus der Nummer raus kommen.“
„Ich habe keine Ahnung.“
Die eine Dame, vielleicht 19 oder 20 Jahre alt, knöpft ihre Bluse auf und zeigt mir alles was sie hat, die Zweite, auch nicht viel älter, führt meine linke Hand unter ihren schon recht hoch geschobenen Rock. Mir wird heiß.
„Frank, lass dir was einfallen, solange wir noch halbwegs klar denken können.“
„Ich hab’s“, ruft Frank freudig und wendet sich mit vollem Ernst an den Nigerianer: „Wir haben ein Gelübde vor dem heiligen Franzius abgelegt. Vier Wochen wollen wir in die Wüste gehen, aus der Gott alles entfernt hat, was den Menschen von dem Wesentlichen ablenkt. In der Zeit wollen wir uns allem Weltlichen entsagen und uns ganz auf die Bibel konzentrieren. Es tut uns sehr Leid, aber wir können dein Geschenk nicht annehmen, so gern wir auch wollen, es geht nicht, sonst wäre alles umsonst.“
„Ja, so ist es“, stimme ich ein, ziehe mein Hand zurück, wende meinen Blick wieder der Welt zu und deute den jungen Damen, aufzustehen.

Sie rücken sich die Kleider zurecht und setzten sich zu den anderen auf die Steine und kichern. Aber keine der Damen kann es lassen, uns zuzuwinken, Küsschen zu geben, oder schöne Augen zu machen. Endlich, der Dieselfritze kommt. Unsere Rettung.

Wir stehen auf und gehen rüber zum Schuppen. Der Herr der Mädchen ruft uns nach: „Wir haben hier ein kleine Bar, die gehört mir, ich lade euch heute Abend ein. Ich komme gleich vorbei und hole euch ab.“

In dem braunen Toyota liegt ein 200 Liter Fass im Kofferraum. Der Dieselfritze holt ein Brett aus dem Schuppen und legt es als Rampe zwischen Kofferraum und Boden. Das volle Fass wird schneller, ist nicht mehr zu bremsen und kracht in unseren Landcruiser. Eine dicke Beule im hinteren linken Kotflügel bleibt als Erinnerung an Dirkou. Frank nimmt es gelassen, er grinst nur.

Mit einer Handpumpe wird ein 20 Liter Blechkanister gefüllt und dieser dann in unseren Toyo gekippt. 7 ½ Kanister.

Inzwischen ist es stockdunkel, unser neuer Freund kommt tatsächlich und holt uns ab. Selbst nachts behält er die verspiegelte Sonnenbrille auf. Er stellt sich auf unser Trittbrett und wir fahren im Schritttempo durch die Oase. Die Straßenhändler haben Petroleumlampen angezündet und beleuchten so ihre Waren. Fast jeder hat das Gleiche im Angebot. Konservendosen, Zahnpasta, Seife, Datteln, Reis und Hirse. Wir biegen in eine Seitenstraße. In alten Ölfässern brennt Feuer. Es scheint die Gasse der Reparaturwerkstätten zu sein. Autoreifen, Keilriemen, Lichtmaschinen, Batterien, Schrauben, Federblätter, Kühler liegen in einem Durcheinander herum. Kein einziges Teil ist neu, alles uralt und gebraucht und wieder hat jeder Händler die gleichen Produkte im Programm.

Im Puff

Vor einer Lehmhütte halten wir an. Der Nigerianer geht voran und öffnet eine, aus einem alten Ölfass gefertigte, Tür, deren Schriftzug „Total“ noch gut zu erkennen ist. Im Innenraum, der bestimmt acht mal fünf Meter großen Hütte, stehen vier runde Tische mit jeweils vier Stühlen. In einer Ecke ist die Bar aufgebaut. Bierflaschen mit einer Giraffe auf dem Label und Cola-Flaschen stehen in Reih und Glied. Vor der Theke befindet sich eine kleine Tanzfläche. Die Decke besteht aus Palmstämmen, darauf wurde Wellblech genagelt. Von Innen sind Palmwedel angebracht, es sieht gemütlich aus. Beleuchtet wird der Raum von 20 Petroleumlampen und auf den Tischen brennen Kerzen, die in leere Colaflaschen gesteckt wurden. Ein Teil des Raumes ist durch einen dunkeln Vorhang abgetrennt, wir können nicht erkennen, was dahinter ist.

Wir scheinen die einzigen Gäste zu sein und setzen uns an einen der Tische. Nach und nach kommen die jungen Frauen von heut Nachmittag rein. Jetzt richtig schön zurecht gemacht, hautenge Kleider, Miniröcke, alle sehr nett anzuschauen.

„Das ist doch Wahnsinn, wir sind hier in einem muslimischen Land, auf der Straße laufen die Frauen total verschleiert und wir sitzen hier im Puff!“
„So ist das Leben.“ Wir lehnen uns entspannt zurück. „Was wollt ihr trinken? Ihr seid meine Gäste und eingeladen“, ruft der nigerianische Bordellchef von der Bar herüber.
„Bier“, rufen wir fast gleichzeitig zurück.
Der Kassettenrekorder wird an eine Motorradbatterie angeschlossen und spielt, auch für unsere Ohren gut anzuhörende, afrikanische Musik. Die Tür geht auf und zwei Männer kommen rein, setzen sich an einen Tisch und bestellen Bier. Die Mädchen tanzen vor der Bar oder sitzen an den Tischen.
„Hey, wenn ihr ficken wollt, ihr könnt jede haben, ich schenke sie euch, ihr wisst schon!“, hallt es auf einmal durch den Raum.
„Nein, du weißt doch – Franzius“, ruft Frank lachend zurück.
„Alles klar.“
Uns gefällt es gut. Wir strecken die Füße aus, trinken spendiertes Bier und schauen den aufreizenden Mädels beim erotischen Tanzen zu.
„Na, Frank, hier kann man leben, oder hättest du gedacht, dass es uns am Arsch der Welt so gut geht?“
„Nee, und dass am Arsch der Welt so schöne Ärsche sind, das glaubt uns keiner.“
„Prost, auf die Entsagung aller weltlichen Laster.“
„Prost, auf den heiligen Franzius.“

Wieder geht die Blechtür auf.
„Achtung“, ruft Frank, „der General!“
Ich zucke zusammen.
„Ach du Scheiße, der kommt bestimmt wegen uns. Der hat gemerkt, dass mit unseren Papieren was nicht stimmt.“
„Doofe Situation, wir sitzen hier im Puff und trinken Bier. Das Ganze hier ist mit Sicherheit illegal.“
„Der sperrt uns weg wegen Zuhälterei. Unsere fehlenden Papierchen sind das kleinste Problem.“
„Mal abwarten, was er will. Wir sagen, wir hätten uns verirrt, sind rein zufällig hier rein geraten. Wir wissen gar nicht was hier passiert.“
„Okay, wir stellen uns blöd. Und dass das Bier ist, wissen wir auch nicht.“

Doch der General beachtet uns gar nicht, grüßt noch nicht einmal, sondern greift eines der Mädchen am Arm, zieht sie wie ein Stück Vieh hinter sich her und verschwindet mit ihr hinter dem Vorhang.
Trotz der Musik hören wir deutlich, was hinter dem Vorhang abgeht. Ein Bett quietscht und wir hören das Mädchen gespielt lustvoll stöhnen.
„Und ich dachte schon, der kommt wegen uns“, lacht Frank.

Es wird leise, der Vorhang wird zurück gezogen und wir sehen, wie der General die letzten Knöpfe seiner Hose schließt. Beim Rausgehen gibt er dem Nigerianer kurz die Hand und verschwindet. Von uns nimmt er keinerlei Notiz.

Das Mädchen, noch halb nackt, verschwindet nach draußen in den Innenhof und kommt nach ein paar Minuten wieder hübsch zurechtgemacht zurück.
„Das ging ja schnell, noch keine fünf Minuten“, amüsiert sich Frank.
„Von Kampfgeist kann da wohl keine Rede sein.“
Wir frotzeln noch über den General und schon geht die Vorhangshow weiter. Unsere beiden Tischnachbarn sind mit zwei der Mädchen hinter dem Vorhang verschwunden.
„Wie passen vier Personen in das schmale Bett?“, wundere ich mich.
„Keine Ahnung, ich lach mich kaputt, wenn das gleich kracht.“

Langsam füllt sich der Raum, immer mehr Männer kommen, hauptsächlich Soldaten aus der naheliegenden Kaserne.
Der Vorhang geht auf, die Nummer ist beendet und schon verschwindet der nächste Gast mit einer der schwarzen Schönheiten hinter dem Vorhang.
Wir sitzen kaum drei Meter von dem Bett entfernt und bekommen alles mehr oder weniger live mit. Das Bett ist im Dauereinsatz. Anschließend zahlen die Männer an der Bar und gehen.

Ich gehe an die Bar und unterhalte mich mit unserem Gastgeber: „Ist hier jeden Abend soviel los?“, will ich wissen.

„Nein, nur wenn wir hier sind. Mir gehört die Bar, sie ist nur alle zwei Wochen für einen Abend geöffnet.“
„Wo geht’s morgen hin?“
„Weiter nach Libyen.“
„Und die Mädchen und die Männer, was machen die dort?“
„Einige wollen in Libyen arbeiten, Geld verdienen und dann wieder zurück, andere wollen weiter nach Europa, nach Italien.“
„Wo wollen sie Arbeit finden, als illegale Einwanderer?“ „Die Frauen arbeiten in den libyschen Bordellen, die Männer auf dem Bau oder auf den Plantagen.“
„Und wie wollen sie nach Europa?“
„Erst müssen die mal das Geld verdienen. Die meisten haben gerade mal die Fahrt nach Libyen bezahlen können. Von dort aus weiter über Tunesien nach Italien kostet 1.500 Euro, dafür müssen die Mädchen fast 2 Jahre im Bordell arbeiten.“
„Was müssen die Soldaten zahlen, wenn sie mit einem Mädchen hinter dem Vorhang verschwinden?“
„Umgerechnet einen Euro, noch zwei Flaschen Bier dazu, und ihr Wochensold ist weg.“
„Und in Italien?“
„Die Mädchen arbeiten dann auf dem Straßenstrich, die Männer schlagen sich so durch.“
„Aber das sind doch noch Mädchen, die Älteste ist vielleicht zwanzig, die Hälfte der Frauen sind zwischen 15 und 17 Jahre alt.“
„Die arabischen Gockel steigen eben gerne auf junge Hühner“, grinst er. „Und bis die nach Italien kommen, sind sie 18.“

Die Blechtür geht auf, es ist wie im Kasperletheater, Tri, Tra, Trullala und der Polizist ist da. Auch ihn erkennen wir wieder, es ist derjenige, der unserem Dieselfritzen geholfen hat, seinen braunen Toyota anzuschieben. Ich gehe zurück an den Tisch und bringe Frank ein weiteres Bier mit.

„Bin gespannt, ob der Polizist mehr Kondition hat als der General“, feixt Frank.
„Wir können ja mal die Zeit stoppen und eine Liste führen.“
Aber weder quitscht das Bett im Takt noch stöhnt das Mädel.
Jetzt wäre es mal interessant zu wissen, was hinter dem Vorhang vor sich geht.
Der Polizist ruft den Bordellbetreiber, der sofort zum Bett hinter gelaufen kommt.
Kurzer Wortwechsel auf arabisch. Wir verstehen kein Wort.
Dann grinst uns der Nigerianer an und meint: „Der Polizist kann nicht, wenn zwei Deutsche neben dem Bett sitzen und zuhören. Er möchte, dass ihr kurz draußen wartet bis er fertig ist.“

„Okay, wir gehen.“
Zum Abschied schenkt uns der Bordellbetreiber zwei leere Niger-Bierflaschen. Wir sehen in fragend an.
„Die braucht ihr hier. Ohne leere Flasche verkauft euch keiner eine Volle. Es sei denn, ihr trinkt sie sofort im Laden aus.“
Und tatsächlich, die beiden leeren Flaschen waren das beste Geschenk auf der ganzen Reise, wir hätten sonst nie mehr irgendwo Bier bekommen.
Später, wir übernachten wieder im Palmenhain, liege ich in meinem Schlafsack, sehe in die Sterne über mir und frage Frank: „Wo ist eigentlich der Unterschied? Früher wurden die Sklaven durch die Sahara nach Norden getrieben, um dort ausgebeutet zu werden. Heute laufen sie freiwillig durch die Sahara, oder zahlen viel Geld dafür, um dann, genau wie früher, unmenschlich in Bordellen oder auf Baustellen ausgebeutet zu werden. Für die Schwarzafrikaner hat sich doch nicht viel geändert.“
„Der Unterschied zu früher ist, dass nicht nur die Weißen die Schwarzen ausbeuten, sondern die Schwarzen sich jetzt gegenseitig.“

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  1. Andreas

    „Der Unterschied zu früher ist, dass nicht nur die Weißen die Schwarzen ausbeuten, sondern die Schwarzen sich jetzt gegenseitig.“

    Leider ist das nicht ganz richtig. Die Geschichte weist ein anderes Bild auf. Die größten Sklavenhändler waren Schwarzafrikaner.
    Traurig, dass es so etwas überhaupt gegeben hat – und weiterhin gibt. Auch in Europa.

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