Belastung der Gelenkwellen durch 14.00 Reifen
Eine Frage, die uns häufig gestellt wird, klingt etwa so:
„Wir wollen auch 14.00 R 20 Reifen fahren auf unserem Magirus 170d11FA . Ich habe zum Thema 14.00er immer wieder gehört und gelesen, dass ich mir dann gleich zwei Steckachsen ins Fahrzeug legen kann.
Habt ihr die Steckachsen in eurer 170er Zeit öfter wechseln müssen?“
Die Frage zu abgerissenen Steckachsen, Doppelgelenkwellen um korrekt zu sein, mit 14.00 Reifen wird nicht nur zum Iveco gestellt, sondern das Thema ist auch unter Steyr 12m18-Fahrern viel diskutiert.
Meine Antwort zu Gelenkwellen und 14.00 Reifen
Durch die – im Verhältnis zur Originalbereifung – große 14.00 Bereifung werden die Gelenkwellen und vor allem die Tragringe höher belastet und der Verschleiß steigt. Insbesondere dann, wenn die Achse wie die des 170D12A und auch die des 170D11FA etwas schwach ausgelegt ist. Optimal wäre, hier die Achsen des 15 Tonner einzubauen, aber das bedeutet zusätzlichen finanziellen Aufwand und eine Achse vom 15 Tonner muss man auch erst mal beschaffen.
Auf Asphalt ist die Belastung bei 14.00 Reifen zu vernachlässigen, dass halten Tragringe und Gelenkwellen auf jeden Fall aus. Im Gelände treten höhere Kräfte auf, klar, aber durch die großen Reifen wird das Fahrzeug geländefähiger und man kann kritische Stellen langsamer durch fahren. Im Sand wird man mit den 14.00 Reifen weiche Stellen durchfahren können, bei denen Fahrzeuge mit der Originalbereifung Schwierigkeiten bekommen, stecken bleiben und dann durch Anfahrversuche höhere Kraftspitzen entstehen, als bei großer Bereifung.
Erfahrung von 400.000 Kilometer
Nur zur Klarstellung: Wir sprechen von einem Reisefahrzeug, das im Gelände bewegt wird. Ankommen ist für uns entscheidend.
Wir sprechen nicht von einem Rally-Fahrzeug mit dem auf Sieg gefahren wird. Kaputt fahren kann am alles.
Bei unserem Deutz war eine Steckachse nach 280.000 Kilometer ausgeschlagen, wobei der Pistenkuh-Deutz auf der Afrika-Umrundung mehr Offroad gefahren wurde als sonst auf Langstreckenreisen üblich. Wenn das der Preis ist, alle 280.000 Kilometer mal 1.500 Euro für die Reparatur auszugeben, ist das für mich okay.
Und das bedeutet nicht, dass eventuell der Schaden an der Halbwelle auch bei kleinerer Bereifung aufgetreten wäre.
Die vorderen Halbwellen brechen vor allem dann, wenn eines der Vorderräder den Bodenkontakt verliert, beschleunigt wird und dann beim Aufsetzen auf Grund abrupt abgebremst wird. Aber der Schaden wird in dem Fall durch einen Fahrfehler und nicht durch die großen Reifen verursacht. Daher, wenn die Gefahr des Verlustes von Bodenkontakt besteht, immer die Sperren einlegen, um genau das Durchdrehen eines der Vorderräder zu verhindern.
Die Tragringe
Die Tragringe sind beim Deutz meines Erachtens eher das Problem bei 14.00 Bereifung. Diese waren bei unserem Deutz ebenfalls nach mehr als 250.000 Kilometer ausgeschlagen und recht zeitaufwändig in der Reparatur (10 Stunden bei einem Freund in der Werkstatt auf dem Bauernhof). Es musste eine neue Buchse gedreht werden und natürlich standen in der Werkstatt auch eine Kiste Bier und der Grill bereit. Ich denke, man hätte hier wohl in einer (deutschen) LKW-Werkstatt mit 1.500-2.000 Euro rechnen müssen.
Zudem waren die Tragringe, ebenso die Antriebswelle, seit Südafrika ausgeschlagen, wir sind damit noch von Kapstadt nach Kairo und über Jordanien, Syrien und den Balkan nach Deutschland gefahren. Es war nicht so, dass damit ein Weiterkommen unmöglich gewesen wäre.
Fazit
Unterm Strich: Ja, der Verschleiß der Gelenkwellen und der Tragringe wird höher sein. Jedoch nicht so hoch, wie die Schwarzseher es behaupten. Ich persönlich bin bereit, diese Kosten zu tragen und rechne grob mit 2000 Euro zusätzlichen Reparaturkosten auf 200.000 Kilometer, oder umgerechnet 1 Cent je Kilometer Zusatzkosten wegen der 14.00 Bereifung.
Vorsorglich die große Achse vom 15 Tonner einbauen, würde ich nicht. Zunächst kann man erst mal los fahren und bei einer eventuell fällig werdenden Achsüberholung die Achse komplett zugunsten einer 15 Tonner-Achse tauschen.
Hallo Burkhard, was auch nicht zu vernachlässigen ist die Mehrbelastung der Lenkung vom Lenkgetriebe über die Lenk- und Spurstangen sowie der Radlager. Das hohe Gewicht des Reifens ca. 105-110kg (365/80R20 70-74kg) läßt die Kräfte in diesen Teilen sprunghaft anssteigen. Durch die extrem hohe Traglast der Reifen wird der Effekt des Luftablassens im Sand minimiert, d.h. die Luft muss so weit abgelassen werden um einen Effekt zu erziehlen, das die Gefahr besteht das der Reifen von der Felge springt. Auch die Bremswirkung läßt stark nach, der Bremsweg wird länger, da der Reifen einen deutlich größeren dynamischen Halbmesser hat. Daher gibt es bessere Methoden die Gesamtübersetzung des Fahrzeugs zu ändern.
Gruß
Michael
Anmerkung zu dieser Aussage:
„Hallo Burkhard, was auch nicht zu vernachlässigen ist die Mehrbelastung der Lenkung vom Lenkgetriebe über die Lenk- und Spurstangen sowie der Radlager.“
Zumindest aus der alltäglichen Fahrpraxis will mir scheinen, dass die größte Belastung von Lenkung und Lenkgetriebe durch (a) das Gewicht auf der Vorderachse und (b) dadurch entstehen, wie schnell man bei welchem Untergrund fährt. Will heißen, Schonung von Lenkung, Lenkgetriebe usw. erreicht man wohl eher durch bedachtes Fahren als durch die Frage des Reifengewichts. Wer z.B. meint, selbst mit kleinen Reifen Wellblechpisten mit 80km/h fahren zu müssen, weil man so quasi von Wellenkamm zu Wellenkamm springt, der wird Achsen und Lenkgestänge um ein Vielfaches höher belasten als bei vorsichtiger Fahrt mit großen und schweren Reifen.
Servus Burkhard,
du schreibst:
>> Im Gelände treten höhere Kräfte auf, klar, aber durch die großen Reifen wird das Fahrzeug geländefähiger und man kann kritische Stellen langsamer durch fahren.
Ist es nicht so, dass bei gleichem Gang die größeren Reifen schneller rollen?
Oder meinst du, dass du in kritischen Situationen einfach einen Gang niedriger schältst? Wobei weniger als Gang 1, Untersetzung rein und Split raus geht wohl nicht…
Viele Grüße
Jürgen
Hallo Jürgen,
ich meine jetzt nicht schwierige Stellen, die man im Kriechgang mit fast Standgas durchfährt, denn dort sollten die Belastungen – wegen der nicht vorhandenen Geschwindigkeit – keine Schäden anrichten.
Bei Fahrten im Sand jedoch, insbesondere bei Dünenfahrt, ist es bei kleinen Reifen teilweise erforderlich, Passagen mit Schwung zu durchfahren. Bei großer Bereifung geht es ohne Schwung und damit mit weniger Kraftspitzen in den beanspruchten Teilen (Tragringe, Doppelgelenkwellen etc.).
Danke für deinen Kommentar.
Viele Grüße
Burkhard
Hallo Jürgen,
der Abrollumfang bei unseren 395/85R20er Reifen ist im Vergleich zu den alten 365/80R20 etwa 8% höher, d.h. man fährt bei gleicher Motordrehzahl etwa 8% schneller. Das klingt wenig, hat sich aber bei unserem Fahrzeug so ausgewirkt, dass ich beim langsamen Durchfahren von Fußgängergebieten auch im ersten Gang, Standgas, zu schnell bin und seitdem grundsätzlich auf den Untersetzungsgang schalten muss. Aber das wird zur Routine. Bei Offoad hast du theoretisch recht… mit kleineren Reifen hast du eine größere „Untersetzung“, hilfreich vielleicht in steinigem oder felsigen Gebiet, aber dafür kommst du dort mit größeren Reifen leichter über größere Steine.
Beste Grüße
Wolfgang
Hallo Burkhard, ich hatte bei bei unserem MAN 10.220 bei der Umrüstung der 365/80R20 Reifen auf 395/85R20 zunächst auch die Überlegung – und auch mit MAN besprochen, ob Lenkgetriebe und Radlager eventuell zu start belastet würden. Ergebnis: auf „normalen“ Straßen dürfte sich das höhere Reifengewicht auf den Verschleiß kaum auswirken und im Gelände hilft es, wenn man mit den größeren Reifen dann ganz bewußt ein klein bißchen langsamer fährt. Offroad durchzubrettern bewirkt mit kleineren Reifen größere Schäden als langsamer und bedacht mit großen Reifen.
Im übrigen, zu den Mehrkosten durch eventuell früheres Austauschen von Tragringen etc. Die geringere durchschnittliche Motordrehzahl durch den größeren Reifenumfang dürfte sich bei den erwähnten 250.000km durchaus auch in einem leicht geringeren Verbrauch und damit niedrigenen Treibstoffkosten bemerkbar machen.
Beste Grüße
Wolfgang
Hallo Wolfgang,
vielen Dank für deinen Beitrag. Stimmt, die Kostengegenrechnung durch reduzierten Kraftstoffverbrauch habe ich nicht in Betracht gezogen. Gutes Argument.
Liebe Grüße, auch von Sabine
Burkhard
Verschlechtert sich nicht vielleicht auch die Bremswirkung in dem Maße, in dem sich die Übersetzung verlängert – oder haben LKW Druckluftbremsen dermaßen Reserven, daß sich der Bremsweg trotz größerer Reifen nicht verlängert?
Es wäre für Aufklärung sehr dankbar und grüßt herzlich
Clemens
Hallo Clemens,
ja, die Bremswirkung nimmt im gleichen Maß ab. Unter anderem deshalb wird bei der TÜV-Eintragung der Reifen auch ein Bremstest auf dem Bremsenprüfstand gemacht.
Die Bremswirkung muss mit den großen Reifen innerhalb der gesetzlichen Anforderungen liegen. Beim Steyr 12m18 kein Problem, die Bremse bremst.
Hallo Burkhard und danke für deine Tipps zum Thema Gelenkwellenbelastung! Ich wusste gar nicht dass die Tragringe durch größere Bereifung stärker belastet werden und man also öfter ein Auge auf seine Steckachsen werfen sollte. Mein Mann hat neulich seinen Geländewagen zur Reparatur bringen müssen, weil er diesen Tipp nicht beachtet hat.