Gastbeitrag von Rolf Schettler zu Fernreisemobile
Über einen Gastbeitrag zu Fernreisemobile von Rolf Schettler freue ich mich sehr. Rolf kann man wohl zu recht einen alten, erfahrenen Wüstenfuchs nennen.
Sein 1980 erschienenes Buch „100.000 Kilometer Orient“ war übrigens mein erstes „Globetrotterbuch“.
Sein 1980 erschienenes Buch „100.000 Kilometer Orient“ war übrigens mein erstes „Globetrotterbuch“.
SCHWARZE SCHAFE ?
Die EIERLEGENDE WOLLMILCHSAU ist eine umgangssprachliche Redewendung, mit der etwas umschrieben wird, das „nur Vorteile hat, alle Bedürfnisse befriedigt und allen Ansprüchen genügt“.
Beim Kauf des 1. Expeditions- oder Fernreisemobils scheint offensichtlich bei vielen Reisenden die Idee vorzuherrschen, dass gerade ihr Mobil diesen utopischen Idealvorstellungen entsprechen oder zumindest eine unübersehbare Individualität ausstrahlen, vielleicht sogar ein Unikat sein sollte.
Da die Ideen für das ultimative Reisemobil oftmals während oder nach einem anstrengenden Arbeitsleben am Schreibtisch entstehen, kann daraus leicht die Kombination eines 100 T€ teuren Kofferaufbau auf einem weniger als 10 T€ kostenden (und im allgemeinen nicht von Ausbau-Hersteller ausgewählten) Gebrauchtfahrgestell werden.
Aber auch im Neufahrzeugsektor im Extremfall mit 8×8-Fahrgestell, das mit Aufbau im Preissegment über 500 T€ liegen kann, sollte man bedenken, dass der Anbieter wie beim Hausbau das baut, was der Käufer haben will.
Bei den relativ geringen Fahrzeug-Stückzahlen behaupte ich, dass kaum ein Aufbau-Hersteller dabei die diversen Modelle im Auslieferungszustand selbst einem eingehenden Off-Road-Praxis-Test unterzieht oder unterziehen kann.
Bei der Auswahl des Fahrgestells sollte man auch berücksichtigen, dass sich z.B. ein russisches KAMAZ-Fahrgestell im Fahrbetrieb anders verhalten (verwinden) wird als ein Mercedes Rundhauber oder ein Magirus 170D11, ganz zu schweigen von einem Unimog- oder Zetros-Fahrgestell im Vergleich zu einem leichten Mercedes der Lk/LN-Baureihe.
Verwendet man gebrauchte Fahrgestelle für den Aufbau eines Fernreisemobils, so hat man bei der Recherche nach dem Ausmusterungsgrund z.B. eines Feuerwehrfahrzeugs die Möglichkeit, die Schäden an den ehemaligen Aufbauten zu studieren, die auch bei Fahrzeugen mit weniger als 30 Tkm Laufleistung oftmals in Brüchen des Aufbaurahmens zu finden sind.
So stelle ich nach einem 50-jährigen Reiseleben mit knapp 20 verschiedenen Fernreisemobilen zunächst fest, dass KEINES perfekt war.
Warum?
Zunächst muß ich mir die Frage stellen, ob die Aufbau-Richtlinien für Hilfsrahmen, die die Fahrzeug-Hersteller herausgeben, wirklich den Anforderungen von Fernreisemobilen entsprechen oder die Belastung maximal im Bereich einer gleichmäßig beladenen Pritsche im Baustellen- oder im militärischen Bereich widerspiegeln, für die sie primär entwickelt werden.
Im Expeditions-Fahrzeugbereich ist meistens zwischen Hilfsrahmen und Aufbau eine 3- oder 4-Punktlagerung verbaut, wobei die Punktbelastung und die Verschränkungsmöglichkeit wohl oftmals nur für einen statischen Zustand berechnet zu sein scheinen.
Nach den mir bekannten Schäden an einigen Fahrzeugen scheinen die vom Fahrgestell-Hersteller angegebenen Verwindungswinkel (z.B. +/- 22,5 Grad) gegenüber den realen Fahrzeugwerten bei einer Geländefahrt konservativ und damit zu gering angegeben zu sein. Nur so waren mir die Schäden nach einer Island-Fahrt an meinem Aufbau auf einem vom Fahrgestell-Hersteller gelieferten Aufbauträger eines Neufahrzeugs begründbar.
Sinn und Ziel von 3-Punkt- oder 4-Punkt-Lagerungen soll doch allgemein sein, dass der Kofferaufbau auch im schwersten Gelände spannungsfrei bleibt. Die möglichen Verwindungen eines Fahrgestells sind das Ergebnis von Überlagerungen von Quer- und Längsschwingungen. Die maximale Verschränkung kann nicht einfach statisch durch Anheben eines Rades oder einer Fahrgestell-Ecke mit einem Hydraulik-Heber ermittelt werden, sondern müßte mit realistischen Lastverteilungen im dynamischen Fahrversuch ermittelt werden.
Man kann sich vereinfacht leicht bildlich vorstellen, dass es im Fahrversuch einen Unterschied ergibt, ob ein Rad der Vorderachse in ein Bodenloch fällt oder ob gleichzeitig das andere Rad derselben Achse durch eine Bodenwelle nach oben angehoben wird. Die daraus resultierende Tordierung des Fahrgestells wird dann noch vom Verhalten der Hinterachse überlagert. Noch komplizierter wird der Fall, wenn das Fahrzeug im Gelände einen kleinen Luftsprung vollführt und dann mit einer Achse zuerst landet, weil dann durch die Durchbiegung des Fahrgestells die Fixpunkte der Aufbauhalterung immer kurzzeitig zusammenrücken (gilt natürlich auch bei Bodenwellen auf der Autobahn oder bei Wellblechpisten). Auf die Tatsache, dass sich bei einer Durchbiegung des Fahrgestells die Fixpunkte der Lagerung gegenseitig verkippen, will ich hier im einzelnen nicht eingehen. Dies würde im Idealfall zu einer Forderung nach einer kardanischen Lagerung der Fixpunkte führen.
Diese Problemstellungen haben wir in Atar und in Dakhla mit Andreas intensiv an Hand seines damaligen Steyr 12M18 und meinem MB 1019 diskutiert und die Erkenntnisse sind bestimmt auch in Deinen Zwischenrahmen der Pistenkuh eingeflossen.
Kann man die Zwangskräfte des im Gelände fahrenden Fahrgestells auf den Aufbau ausschließen, so können noch bei der Konstruktion und der Nutzung des Aufbaus selbst erzeugte Kräfte hinzu kommen.
Darunter verstehe ich z.B. eine Leerkabine aus Alu mit einer vom Fußboden bis zur Decke reichenden Schrank- oder Trennwand aus Holz. Hier hörte ich von einem Aufbauhersteller, dass dies die Gesamtstabilität des Aufbaus erhöhe. Richtig! Nicht berücksichtigt wurde jedoch die berechenbare Längenausdehnung von Alu, wenn der Aufbau in der Sonne Afrikas oder der Kälte Sibiriens steht. Da der spezifische Ausdehnungskoeffizient von Alu bekannt ist, kann man natürlich die Folgen der Längenänderungen leicht berechnen. Aber was passiert, wenn man eine Leerkabine kauft und sich diese sich von einem anderen Fachbetrieb ausbauen lässt oder selbst ausbaut?
Ein anderer Punkt, der gern übersehen wird, ist eine punktförmige oder ungleichmäßige Belastung/Beladung des Aufbaus. So wunderte sich ein Bekannter von mir, der einen Kofferaufbau mit Rucksack hinter dem Fahrgestell-Ende seines MB 1017 mit einem ca. 260 kg-Gelände-Motorrad und seiner „Werkstatt“ beladen hatte, dass bei einer längeren Afrika-Tour sein Fahrgestell hinter der Hinterachse durchbrach und sein Aufbau auch Schaden nahm.
Andere bemerkenswerte Beispiele sind die realen Wünsche von Reisenden, dass ihr 7,5-Tonner doch bitte ein Tankvolumen von ca. 1000 Liter Diesel haben oder dass Duschwasser in der Größenordnung von 500 Liter mitgeführt werden sollte.
Die Schlussfolgerung
Meine Schlussfolgerung daraus ist:
„Nicht alles, was machbar erscheint, ist für ein Gelände-taugliches Fahrzeug sinnvoll“.
Wird es trotzdem gemacht, ist man ein TESTFAHRER mit allen Konsequenzen und gegebenenfalls notwendigen Nachbesserungen, auch unterwegs.
Deshalb würde ich heute bei der Suche nach einem optimalen Expeditions-Fahrzeug so vorgehen:
1. Das mir geeignet erscheinende Fahrgestell aussuchen und dabei möglichst auf Militär- oder Export-Versionen zurück greifen, da diese meist verstärkte Federn, Torsionsstäbe oder/und Radlager, eventuell auch stärker ausgelegte Fahrgestelle und Stoßdämpfer besitzen.
Konsequenterweise würde ich hierbei auf verlockende „Verbesserungen“ des Fahrverhaltens durch Luftfederung, Abschrauben von Torsionsstäben oder der Herausnahme von Federblättern unbedingt verzichten.
2. Mir viele Gedanken über den Hilfsrahmen und die 3-Punkt-/4-Punkt-Lagerung machen, da sie oftmals der Grund für das spätere Übel am und im Aufbau ist.
3. Bei der Auswahl des Aufbau-Typs nicht allein Herstellerangaben vertrauen, sondern auch Militäraufbauten studieren, die für Geländefahrten konzipiert sind.
Die Militäraufbauten gibt es als stabile Holzkonstruktionen mit Alu-Beplankung (russische Aufbauten von GAZ, ZIL, URAL), genietete Alu-Aufbauten, die ich im Eigentest elastischen Scherverformungen unterworfen habe (BW-Shelter der 1.Generation), GfK-Sandwichaufbauten (neue BW-Shelter, schweizerische Armee, belgische Armee, dänische Armee, teilweise mit Stahlrahmen), Voll-Kunststoff-Aufbauten z.B. LAK I / LAK II der ehemaligen NVA oder qualitativ hochwertige Tiefkühlkoffer.
Diese gebrauchten Aufbauten und ihre Halterungen auf dem Fahrgestell können einem kritischen Betrachter viele Infos für die Folgen bei einem Gelände-Einsatz der diversen Bauformen geben, bevor man mit den Herstellern eines Sonderaufbaus nach eigenen Vorstellungen spricht.
Noch sinnvoller ist es natürlich, sich Aufbauten des dann ins Auge gefassten Herstellers auf LKW-Treffen genauestens anzusehen. Hier findet man schon bei 5- bis 10-jährigen Fahrzeugen Aufbauten, bei denen die Türen nicht mehr richtig schließen, weil die Seitenwände sich tonnenförmig ausbeulen (was im allgemeinen auf eine Durchbiegung der Bodenplatte zurückzuführen ist, auf das die Seitenwände nur mit Ausbeulungen oder Einbeulungen antworten können) oder Risse in den Fenster- und Türecken (was durch eine dynamische Scherbelastung der Wandplatten zu erklären wäre).
Allgemein möchte ich noch anfügen, dass Sandwichplatten nicht gleich Sandwichplatten sind. Ich selbst habe Alu-PU-Alu Platten mit einem spezifischen Gewicht von nur 5,6 kg/m² verbaut und damit positive und negative Erfahrungen erworben. Andere Misch-Sandwichplatten (Holz-PU-GfK) hatten schlechtere Ergebnisse geliefert. Die heute üblichen GfK-PU-GfK-Platten sollten professionell verarbeitet sein. Hier wäre insbesondere auf die Verstärkung der Ausschnitte für Fenster, Klappen und Türen zu achten. An den Kanten sollten die Profile (auch wenn es optisch „unschön“ oder unmodern aussehen sollte) durch weit überlappende Winkel verklebt sein.
Vielleicht würden sich bei Beachtung dieser Anregungen viele Probleme zwischen Käufern und Aufbau-Herstellern verhindern lassen, insbesondere auch dann, wenn nicht bei vielen die 7,5 to GG-Grenze einen so hohen Stellenwert hätte. Dabei sollte bedacht werden, wie hoch / niedrig die Kosten eines LKW-Führerscheins im Verhältnis zum Gesamtprojekt (LKW+Aufbau+Reisekosten) sind.
Zum Schluß meiner Gedanken möchte ich noch anfügen, dass es ein anzustrebendes Ziel wäre, das reisefertige Geländemobil nur mit ca. 70% des technisch zulässigen Gesamtgewichts auf die Reise schicken. Aber dann müssten wohl alle mit einem 14-Tonner auf die geplante Weltreise fahren.
Vielleicht würden sich aber auf diese Weise viele der verdorbenen Träume verhindern lassen.
Mit diesen Zeilen will ich keineswegs Fehler von Herstellern klein reden, sondern nur Gedanken zu einer Vermeidungsstrategie aufzeigen.
Ich wünsche Dir und Deiner Frau eine schöne Erlebnis-reiche Reise Richtung Mauretanien und eine glückliche Heimkehr.
Es grüßt Dich aus dem Harz
Rolf
Danke dir Rolf für den sehr aufschlussreichen Bericht.
Also alle Tatra fahren 😉
Danke für den guten Bericht, sehr informativ….
Sehr gute Zusammenfassung. Volle Zustimmung.
Gruß Markus
Von Rolf auf den Punkt gebracht!
Besonders:“ein anzustrebendes Ziel wäre, das reisefertige Geländemobil nur mit ca. 70% des technisch zulässigen Gesamtgewichts auf die Reise schicken. “ Ein sehr weises, altes Nomadenwissen hast du da rausgehauen: „Suche alles zusammen, was du für deine Reise unbedingt brauchst-…und davon packst du die Hälfte ein!“ ;-)…ist sehr „materialschonend“!“
Sonnige Grüße
Hallo, Rolf!
Vielen Dank für deine Einschätzungen und Anregungen.
Vom Praktiker und wirklich Reisenden erfährt man doch mehr als von vielen Showcar-Herstellern, die ihr Expeditionsmobil in der Regel nur von Messe zu Messe auf europäischen Autobahnen bewegen.
Und das mit den 70% stimmt zu 100% 🙂
Aus meiner eigenen Reiseerfahrung hat man IMMER zu viel dabei.
Man sieht sich!
Roland
Hallo Rolf,
Ich befasse mich noch nicht so lange mit der Anschaffung eines Expeditionsmobiles, aber relativ schnell wurde mir bewusst, dass ich das Augenmerk nicht auf die Kiste und deren Optik, sondern auf deren Stabilität und deren Fixation mittels Hilfsrahmen auf das Chassis legen muss. In deinem Beitrag wird klar, dass man nicht einfach mit einer statischen Berechnung oder einer Hebeübung eine Konstruktion bestimmen und dimensionieren kann. Deine Erfahrungen und dein technisches Verständnis sollten eigentlich in ein Softwareprogramm einfliessen, welches an jedes beliebiges Chassis angepasst werden könnte, die Verformungen in 3D unter Belastung simulieren sollte und als Hilfsmittel zur Konstruktion und Dimensionierung der einzelnen Bauteile dienen könnte. Leider habe ich keine solche Software für diese Aufgabenstellung gefunden. Schade!
Dein Artikel hat mich aber weiter sensibilisiert und dafür danke ich dir!
Gruss Romano
Die Software die du beschreibst gibt es bei den großen Fahrzeugherstellern. Die haben die meistens Custom made für ihre Fahrzeugflotten oder gar in Haus programmiert. Das werden sich die kleinen Hersteller, die es ja meistens sind nicht leisten können. Es gibt zwar auch allgemeinere Software aber da bezweifele ich das sie alles geforderte kann.