Tirana
Am nächsten Tag schieben wir uns, umringt von C, E, und S-Klassen, im Schritttempo auf dem breiten Boulevard in die Hauptstadt. Ich nicke dem Händler, der rauchend auf einem Hocker neben seinen zum Verkauf dargebotenen, gebrauchten Waschmaschinen sitzt, grüßend zu. Nebenan bietet ein Händler gebrauchte Schuhe an, die man in Deutschland nicht mal mehr in eine Spendenbox der Caritas werfen würde, und doch steht eine kleine Menschentraube vor seiner Ausbreitung und feilscht um den Preis.
In Sichtweite prüfen elegant gekleidete Frauen kritisch die Obstware, die der Feinkostladen aus aller Welt einfliegen lässt und tragen Tüten voller Gemüse und Früchte in die Kofferräume ihrer ML’s, Cayenne’s und Q‘s. Eine Fahrt durch Tirana zeigt den Unterschied zwischen reich und arm deutlicher als jede Statistik im Internet.
Die Müllsammlerin in Tirana
An einer umgeworfenen Mülltonne, deren Inhalt sich auf der Straße verteilt und in dem wilde Hunde mit eingezogenem Schwanz nach Fressbarem suchen, stoppe ich unseren Galloper. PET-Flaschen, Papier und Aludosen hat Ceija bereits rausgesucht und in eine alte Schubkarre gelegt. Ihr Bruder versteht schnell, dass mich ihr Leben interessiert und organisiert beim nahen Autoteilehandel einen jungen Mann, der gut deutsch spricht und übersetzt.
Ich habe lange überlegt, ob die Geschichte von Ceija in einen Reisebericht gehört, die Antwort hat sie mir selbst gegeben: „Für uns interessiert sich niemand“. Abenteurer reisen nicht nur wegen Landschaften, Sonnenuntergängen und um grobes Profil in den Boden zu drücken, sondern auch wegen der Begegnung mit anderen Menschen und deren besonderen Situation.
Ein Haus aus alten Paletten und Lkw-Plane
Geija lebt mit ihrer Familie im Slum am Rand von Tirana. Aus alten Holzpaletten, Pappe und Lkw-Plane haben sie sich hier einen Wetterschutz gebaut. Zwei ihrer vier Kinder müssten eigentlich zur Schule gehen, aber sie waren nur die ersten Tage dort. „Sie haben unsere Kinder gehänselt, sagten, dass sie nach Müll stinken. Dann ist es besser, dass sie uns helfen, Müll zu sortieren.“ Ihre Papphütte schildert sie in den schönsten Farben, nie würde sie in ein Haus ziehen.
Doch ihr Bruder Zeko ist wohl ehrlicher: „Ein warmes Zimmer im Winter wäre schön und auch ein dichtes Dach über dem Kopf, aber niemand vermietet eine Wohnung an eine Roma-Familie, die vom Müll lebt.“
„Wie sieht eure Zukunft aus?“ Zeko überlegt nicht lange. „Ich will nach Deutschland.“ „Aber was willst du da machen?“ „Ich werde arbeiten, mir ein Auto kaufen und Geld nach Albanien schicken.“ „Aber das wird nicht einfach. Als illegaler Arbeiter kann man dich ausnutzen und du hast keine Rechte und keine Chance.“ „Eine Chance habe ich hier auch nicht. Selbst wenn ich bei euch Mülltonnen durchsuchen muss, gibt es in denen mehr und besseres zu finden als hier.“
Auf der weiteren Fahrt nach Süden, von Tirana nach Berat, versteht man, warum Peter Scholl Latour Albanien das Armenhaus Europas nannte. Dahin rostende, verfallene Industrieanlagen sind die stillen Zeitzeugen des vor 25 Jahren zusammengebrochenen Kommunismus.