Ein reiches Leben
Ein seltener Anblick in dem kleinen Wüstenörtchen Foum Zguid, da zieht ein urig aussehender, alter Mann einen abgewrackten Reisetrolley hinter sich her. Seine Hose und Jacke sind löchrig, seine Bauchtasche steht offen und jeder sieht, dass sie leer ist. Damit ist wohl auch dem letzten klar, bei dem ist nichts zu holen.
„Hey, wo kommst du her?“, rufe ich ihm zu, als er an unserem Tisch im kleinen Café an der Straßenkreuzung vorbei geht. „Von überall“, lautet seine spontane Antwort.
„Wenn du frühstücken willst, brauchst du dich nur an den gedeckten Tisch setzen.“
„Danke Boss.“ Und schon sitzt er auf dem freien Stuhl zu meiner Rechten.
Der Kellner staunt, bringt aber sofort einen weiteren Teller, mehr Brot, Marmelade und dazu den gewünschten Milchkaffee.
Ich nenne alle Boss
Ich reiche ihm die Hand und sage: „Ich bin Burkhard, Freunde nennen mich einfach Buko, ist einfacher zu merken.“ „Ich bin Bob, aber ich werde dich einfach Boss nennen, ich nenne alle Boss, so sind alle zufrieden und ich muss mir keine Namen merken.“
„Und wo kommst du jetzt her?“ „Aus Zagora, habe da ein paar Tage auf den Kameltrain gewartet, ich wollte mit der Karawane nach Timbuktu.“ Jetzt will er mich verarschen. Meine Gedanken unterbricht er: „Aber die Leute erzählen, dass da schon lange keine Kamele mehr laufen. Jetzt trampe ich die Westsahara runter und dann über Mauretanien nach Mali und dann finde ich auch noch einen, der mich nach Timbuktu mitnimmt.“ „Wie alt bist?“ „74“.
Er zieht eine Zigarette aus der Jackentasche und ein Feuerzeug aus der Hosentasche. Glöckchen klingeln. „Das ist meine Alarmanlage“, dabei zeigt er auf die kleinen Glöckchen, die an jeder Tasche befestigt sind. „In der heutigen Zeit brauchst du eine Alarmanlage.“ Ich werfe einen Blick rüber zu unserem Steyr, der mit geöffneten Fenster und unverschlossen gegenüber am Straßenrand parkt.
„Wo kommst du her?“ „Von überall, habe ich doch schon gesagt.“ „Ich war auch schon überall, aber ich weiß dennoch nicht wo es ist“ „Ich bin Australier, habe nach der Schule gearbeitet und als ein paar hundert Dollar zusammen waren, bin ich nach Indien. Ich bin ein Hippie – immer gewesen. Nach Berlin getrampt, in eine Kommune gezogen und wieder nach Indien, des Marihuanas wegen. Pakistan, Nepal, Goa. Ach Goa, das war damals das Paradies. Am besten konnte man das Zeug in London verkaufen, also bin ich von Goa nach London gelaufen, aber die Kommunen dort waren shit, also zurück nach Berlin. Geile Zeit. Eine Freundin meinte, wir müssten auf die Kanaren, da wäre das Paradies. Ich hatte aber keine Kohle und bin mit dem Rad über Frankreich und Spanien nach Gibraltar. Das Geld für die Überfahrt nach Marokko habe ich mir mit Blutspenden verdient.
Als ich ein Jahr später auf den Kanaren ankam, war die Freundin weg. Aber im Paradies gibt es genügend Frauen, war kein Problem. Ich bin verrückt nach Frauen. Jeder hat so seine Macke, bei mir sind es die Frauen.“
Ich höre ihm gerne zu, er hat eine klare, gut verständliche Stimme, in der immer ein Lachen und ein Scherz mitschwingen. Die Stories sind oft abenteuerlich, manchmal traurig, aber die meisten sind lustig.
Plötzlich stoppt ein Docker Dreirad neben uns, sieht so ähnlich aus wie ein Tuk-Tuk in Indien. Der Fahrer reicht eine Tasche, an der ebenso drei Glöckchen baumeln herüber, es ist der Fotoapparat und die Wertsachen, die er auf seiner Mitfahrt vergessen hatte. „Gegen Vergesslichkeit helfen auch die Glöckchen nichts“, scherze ich.
„Bloody, wie oft habe ich schon die Tasche nachgetragen bekommen. Die Menschen sind überall auf der Welt ehrlich, nur die nicht, die dir an die Tasche gehen, und da helfen die Glöckchen.“
„Wo geht es nach Timbuktu hin?“
„Ich will mal wieder nach Indien, dort habe ich wohl die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Ich rechne immer alles in Rupien um, Indien ist mein Maßstab für die Welt.“
Als er aufsteht und geht, schaue ich noch lange dem ratternden, abgewrackten Trolley hinterher und denke: „Was für ein reiches Leben. Und dann mit 74 nach Timbuktu trampen.“
Ich fühle mich geehrt, dass er sich an meinen Tisch gesetzt hat und ich mit ihm frühstücken durfte.
Verrücktes Leben aber irgendwie bin ich auch ein bisschen neidisch. Das ist etwas ganz anderes als jeden Tag ins Büro zu fahren und dort dem Alltag nachzugehen und gleichzeitig von der Welt zu träumen… Irgendwann, das sagen ja so viele… 😉
Tolle Geschichte!
Wie’s der Zufall will waren wir gerade in Foum Zguid und auch Zagora… somit ist das noch lebendiger für uns. (Im Dachzelt unterwegs … so ein Allrad-LKW wird immer mehr zum Wunsch…)
Schöne Grüße Axel
… eine echt geile, vor allem „warme“ Story. So greifbar – so lebendig. Danke für’s sharen!
Gute Reise, René
Eine tolle Begegnung und eine schöne Geschichte — und die hast Du sehr amüsant und nachdenklich machend verwörtert, danke.
Wieder mal eine von diesen Stories, die eure Seite so besonders machen.
Und wer weiss, vielleicht ist Bob das alter ego von einem von uns, in einer anderen Dimension … 😉
Keep rolling!
Max