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Allrad-Technik und Tipps

Allrad – Die Technik

Eine Einführung

Die folgenden Zeilen sind für die Off-Road-Freaks unter euch nichts neues, aber für den Einsteiger ins Allrad-Abenteuer vielleicht hilfreich. Entstanden ist der Artikel, weil ich mich über ein kleines Heftchen, herausgegeben von einem namhaften Verlag, das sich mit Allrad-Expeditionsmobilen befasst, geärgert habe, da dort grundlegende Aussagen einfach falsch sind. Die gleichen „falschen“ Aussagen hört man jedoch auch oft am Lagerfeuer der Globetrotter, und das nicht von den Einsteigern, sondern von den Experten, die schon seit Jahren mit ihren Allradfahrzeugen unterwegs sind. Vielleicht hat der Autor auch nur zugehört und mitgeschrieben, ohne darüber nachzudenken. Daher hier der kleine Versuch, die Allrad-Technik in ihrer Funktion dem Laien zu erklären.

Ausgleichgetriebe (Differential)

Eines der elementarsten Bauteile in der Allrad-Technik sind Differentiale, oder Ausgleichsgetriebe, wie sie eigentlich heißen.

Ausgleichsgetriebe haben die Aufgabe, das Drehmoment des Motors gleichmäßig auf die Antriebsräder einer Achse zu übertragen und dabei die unterschiedlichen Drehzahlen der Antriebsräder auszugleichen. Unterschiedliche Drehzahlen resultieren aus den unterschiedlich langen Wegen, welche die Räder z.B. bei Kurvenfahrt oder Fahrbahn-Unebenheiten zurücklegen.

Funktionsschema eines Differentials

Funktionsschema eines Differentials

Aufbau eines Kegel-Ausgleichgetriebes

Den Aufbau eines Kegelrad-Ausgleichgetriebes zeigt die nebenstehende Abbildung.

Das Drehmoment geht vom Antriebskegelrad, auf das Tellerrad, von dort auf das Ausgleichsgehäuse und die Ausgleichskegelräder über und von dort auf die Radantriebswellen. Bei Geradeausfahrt drehen sich die Ausgleichskegelräder nicht. Bei Kurvenfahrt wird der Drehzahlunterschied durch die Ausgleichskegelräder ausgeglichen. Das Drehmoment ist jedoch immer an beiden Antriebswellen gleich.

Ausgleichssperren

oder Differentialsperren heben die Wirkung des Ausgleichsgetriebes auf. Dies ist immer dann erforderlich, wenn ein Antriebsrad, die Bodenhaftung verliert und durchdreht. Nehmen wir an, das Antriebsrad hat den Bodenkontakt völlig verloren, es kann also eine Antriebskraft von „Null“ übertragen. Folglich liegt auch an dem Antriebsrad mit guter Bodenhaftung ein Drehmoment von Null an und es kann kein Vortrieb erfolgen.
Durch eine Differentialsperre wird die ausgleichende Wirkung des Ausgleichgetriebes aufgehoben und die beiden Radantriebswellen miteinander verbunden. An dem Rad mit guter Bodenhaftung kann so ein Vortriebsdrehmoment übertragen werden.
Randnotiz: Bei den Ausgleichssperren unterscheidet man zwischen manuell schaltbaren und automatischen Sperren. Automatische Sperren kommen hauptsächlich im Pkw zum Einsatz. Bei Nutzfahrzeugen werden fast ausschließlich manuell schaltbare Ausgleichssperren verbaut. Da es hier um Allrad-Technik in Expeditionsfahrzeugen oberhalb der 5 Tonnen Klasse geht, gehe ich auf automatische Sperren nicht weiter ein.

Manuell schaltbare Ausgleichssperren verbinden die Antriebswelle durch eine Klauenkupplung formschlüssig mit dem Ausgleichsgehäuse, das heißt, beide Antriebswellen sind starr miteinander verbunden und so haben schaltbare Ausgleichssperren immer einen Sperrwert von 100 %.

In einem Allradfahrzeug (2 Achsen, permanenter Allrad) gibt es drei Differentiale, je eines in der Vorder- und Hinterachse und eines in der Mitte, im Verteilergetriebe, um die Drehzahlunterschiede zwischen den beiden Achsen auszugleichen. Nach der Lage im Antriebsstrang werden die Sperren unterschiedlich benannt. Quersperren nennt man die Sperren in den Achsen. Längssperre nennt man die Sperre zwischen den Antriebsachsen. Die Ausgleichssperren werden pneumatisch oder elektropneumatisch vom Fahrer ein- bzw. ausgeschaltet.
Um Beschädigungen des Ausgleichgetriebes zu vermeiden, müssen die Sperren bei guter Traktion sofort ausgeschaltet werden. In der Regel sollen die Sperren im Stand oder bei Geschwindigkeiten bis max. 25 km/h bedient werden. Dazu lässt man das Fahrzeug einen Moment rollen, ohne das eine Antriebsenergie übertragen wird.

Praxis

Soviel erst mal zur Theorie. In der Praxis sieht es etwas anders aus. In der Regel wird bei den Allrad-Lkws auf die Achssperre in der Vorderachse verzichtet oder wenn überhaupt möglich, nur gegen Aufpreis angeboten.

Permanenter Allrad

Bei den Allradfahrzeugen mit permanentem Allrad ist das Verteilergetriebe manuell zu sperren. Natürlich wie oben zu lesen zu 100 %.
Das Drehmoment wird über Gelenkwellen vom Getriebeausgang zum Verteilergetriebe übertragen und von dort ebenfalls über Gelenkwellen zu den beiden Achsen. Durch eine zweistufige Übersetzung im Verteilergetriebe kann eine zusätzliche Übersetzung ins Langsame geschaltet werden. Daher wird das Verteilergetriebe gelegentlich auch Reduktionsgetriebe genannt.
In einem permanenten Allradfahrzeug gibt es daher in der Regel zwei pneumatische Sperren (Hinterachse und Verteilergetriebe) und einen Schalthebel für die Untersetzung.

Zuschaltbarer Allrad

Bei einem zuschaltbaren Allrad wird auf die Ausgleichswirkung des Verteilergetriebes verzichtet und die Vorderachse starr zugeschaltet. Bei zugeschaltetem Allrad hat man so die gleiche Situation, wie bei einem permanenten Allradantrieb mit gesperrtem Längsdifferential. In der Regel wird bei einem zuschaltbarem Allradfahrzeug auch gleichzeitig die Untersetzung betätigt. Das heißt, schaltet man den Allrad zu, ist es vergleichbar mit einem permanenten Allradfahrzeug, das die Längssperre betätigt und die Untersetzung eingelegt hat. Bei einigen Herstellern kann man wählen, ob man das Fahrzeug mit permanentem Allrad oder zuschaltbarem Allrad wünscht. Der permanente Allrad ist wesentlich bauaufwändiger und damit deutlich teurer.

Dass ein zuschaltbarer Allrad gegenüber einem permanenten Allrad Treibstoff spart, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Beim zuschaltbaren Allrad wird zwar der Antriebsstrang zur Vorderachse bei „Straßenbetrieb“ im Verteilergetriebe getrennt, jedoch werden alle Gelenkwellen und Getriebe durch die rollenden Räder der Vorderachse angetrieben. Abhilfe könnten Freilaufnaben in den vorderen Radnaben bringen, die den Antriebsstrang in den Radnaben entkoppeln. Allerdings sind Freilaufnaben nur für kleine Geländewagen verfügbar.

Kleiner Scherz am Rand:
In Namibia haben wir Urlauber getroffen, die an ihrem gemieteten Allrad-Fahrzeug die Freilaufnaben auf „open“ stehen hatten und sich wunderten, dass sie ständig im Sand fest steckten. Sie wollten den Vermieter den Wagen zurück bringen, weil der Allrad defekt sei.

Öfter hört man folgenden Scherz: „Ich komme mit meinem Mercedes-Bus 408 auch aus jeder nassen Wiese, ich habe hinten eine Differential-Sperre einbauen lassen. Allradantrieb ist viel zu teuer und bringt nichts.“ Schade nur, dass die meisten es nicht im Scherz meinen.

Dazu folgendes Beispiel:

Allrad Beispiel

Allrad Drehmomentübertragung Beispiel

Gegeben sei eine feuchte Wiese am Hang. Um das Fahrzeug zu bewegen, sei eine Kraft von 35 Newtonmeter erforderlich. Die Räder könnten auf der feuchten Wiese angenommener Weise folgende Kraft übertragen.
HR = 15, HL = 12, VR = 8, VL = 10.

Beim oben beschriebenen Mercedes-Bus wird nur die Hinterachse angetrieben. Die Folge: Das Fahrzeug steht in der Wiese und das linke Hinterrad dreht durch. Insgesamt wird eine Kraft von 24 Nm übertragen. (12 Nm linkes Hinterrad, 12 Nm rechtes Hinterrad, das rechte Hinterrad überträgt keine 15 Nm, da wie oben beschrieben durch das Ausgleichsgetriebe das Drehmoment auf beiden Antriebswellen immer gleich ist.)

Verfügt das Fahrzeug über eine Ausgleichssperre, wird das Fahrzeug sich dennoch nicht aus der nassen Wiese bewegen, sondern mit zwei durchdrehenden Hinterrädern Flurschaden anrichten. Die Quersperre führt nur dazu, das jetzt 27 Nm übertragen werden. (12 HL plus 15 HR).
Hätte das Fahrzeug einen Allradantrieb (egal ob zuschaltbar oder permanent) könnten insgesamt 40 Nm auf den Boden übertragen werden (12 HL + 12 HR + 8 VR + 8 VL). Das Fahrzeug fährt mühelos aus der nassen Wiese.

Fazit:

Differentialsperren nutzen nur in extremen Situationen, z.B. wenn ein Rad auf Eis steht und das andere auf Asphalt. In der Praxis ist es jedoch die Regel, dass der Untergrund gleichmäßig schlecht Drehmomente aufnimmt, z.B. die oben erwähnte nasse Wiese in Deutschland, oder Sandstrecken in der Sahara, oder gar Schlammwege in Kongo. So wird der Nutzen der Differentialsperren oft überschätzt. Letztendlich geht es wirklich nur mit Allrad.


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Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

This article has 4 comments

  1. Bart

    Sorry Burkhart, da hast du nicht recht, es existiert (fur den rundhauber bin ich gans sicher!) auch freilaufnabe fur LKW’s.

  2. Rebecca

    Danke euch für die verständliche Einführung! Vor allem das Rechenbeispiel hat mir gefallen…

    Allrad für Dummies quasi =)

  3. Christoph Schmid

    Hier gibts ein schönes Video zur Veranschaulichung wie ein Differential funktioniert:
    https://youtu.be/K4JhruinbWc

    Plus der Artikel von Matsch&Piste:
    https://matsch-und-piste.de/sperriger-ausgleich-die-verschiedenen-differenzialsperren-teil-1/

    Da ist viels davon sehr schön erklärt.
    Gerade das Diff-Video ist sehr anschaulich an einem handbetriebenen Modell demonstriert.
    Das Ganze wirkt zwar wie ein Werbespot, ist aber sehr eingängig und macht deutlich was so ein Differential eigentlich für eine ausgeklügelkte Konstruktion ist 😉

    Übrigens nicht nur bei LKW wird die vordere Diff-Sperre gerne eingespart, bei Pickups auch.
    Da werden dann MArketing-NAmen wie „eLSD“ (electronic Limited Slip Differential) erfunden, um ein System zu beschreiben, welches anhand der ABS Sensoren durchdrehende Räder erkennt und abbremst… Das hat mit dem eigentlichen Differential 0,0 garnichts zu tun, klingt aber gut 😉

    Schöner Artikel,

    Grüße,
    Christoph

  4. Heffalump

    Hallo,
    ich hätte eine Anmerkung:

    „In der Regel wird bei einem zuschaltbarem Allradfahrzeug auch gleichzeitig die Untersetzung betätigt. Das heißt, schaltet man den Allrad zu, ist es vergleichbar mit einem permanenten Allradfahrzeug, das die Längssperre betätigt und die Untersetzung eingelegt hat.“

    Das ist nicht richtig. Ich bin einige Fahrzeuge mit zuschaltbarem Allradantrieb gefahren: Toyota Hilux, Nissan Patrol, Toyota Landcruiser, Mitsubishi L300 4×4, Land Rover Discovery und Mercedes T1 4×4. Alle, wie gesagt, mit zuschaltbarem Allrad ohne Mitteldifferentialgetriebe. Bei keinem wird zeitgleich die Untersetzung aktiviert. Wenn man die Vorderachse zuschaltet, ist man automatisch in 4×4 High (also keine Untersetzung). Man kann dann von 4×4 High auf 4×4 Low (Untersetzung) schalten.

    Grüße aus Salzburg

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